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Die Lage im Norden des Kosovo

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Der kompakt von Serben besiedelte Norden des Kosovo bleibt weiter die Krisenregion Nummer Eins am Balkan. Die serbische Mehrheit des Nordens blockiert nach wie vor die zwei Grenzübergänge nach Serbien, sie will nicht akzeptieren, dass an diesen Übergängen auch albanische Zöllner und Grenzpolizisten eingesetzt werden. Das lehnt auch Serbien ab, weil damit die albanisch dominierte Regierung in Pristina zum ersten Mal auch Hoheitsrechte im Norden mit Unterstützung von NATO und EU durchsetzen will. Blockiert sind im Norden auch die wenigen albanischen Dörfer und blockiert sind auch die technischen Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad, die zu einer Normalisierung der Beziehungen führen sollen! Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschuetz hat den Nordkosovo besucht und die folgende Reportage überdieses Konfliktgebiet gestaltet.

Seit Mitte September blockieren Kosovo-Serben die Straßen zu den zwei Grenzübergängen im Norden zu Serbien. Während der offizielle Schwerverkehr über einen dritten Übergang im Nordosten rollt, bestehen sogenannte alternative Wege in den Kosovo. Wer sich darunter einsame, gefährliche Schmuggelrouten ins Land der Skipetaren vorstellt, die nur Kara Ben Nemsi mit seinem treuen Diener Hadji Halef Oma bezwingen könnte, wird enttäuscht. Der beste Weg führt von Novi Pazar über eine gut asphaltierte Straße nach Banje in den Nordkosovo. Auf serbischer Seite passiert unser Auto mit Belgrader Kennzeichen ohne Kontrolle einen Polizeiposten. Weiter geht es einen Höhenzug entlang, wobei das viele Schnittholz am Straßenrand auffällt. Illegales Schlägern und Holzschmuggel sind ein einträgliches Geschäft. Auf kosovarischer Seite treffen wir auf einen Posten marokkanischer KFOR-Soldaten. Die Autonummer wird ebenso notiert wie der Personalausweis des Fahrers. Weder werden wir kontrolliert noch das Auto nach Waffen durchsucht. Vor Banje kommt noch eine Straßensperre lokaler Serben. Der junge Wächter sieht die Belgrader Autonummer, grüßt freundlich und hebt den Schlagbaum. 30 Minuten später sind wir in der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica. Der Süden ist Albanisch, der Norden Serbisch, die zentrale Brücke über den Ibar ist durch Schotter und Beton gesperrt. Zur Überwindung der Teilung bietet der junge Serbe Dragan Tomic folgendes Rezept an:

"Meine Erfahrung zeigt, dass nur kleine Schritte möglich sind, und dass man mit persönlichen Kontakten beginnen muss, um ein persönliches Vertrauen zwischen zwei, drei, fünf Jugendlichen bei welchem Projekt auch immer aufzubauen. Jeder Versuch, etwas in großem Umfang zu machen, wird nur einen Bumerang-Effekt auslösen, und auch die kleinen Schritte zunichtemachen. Das ist ein Prozess, für den es ziemlich viel Zeit brauchen wird."

Der 28-jährige Tomic arbeitet für die niederländische Organisation Spark. Sie betreibt seit mehr als einem Jahr in Kosovska Mitrovica ein Business-Collage, das 250 Studenten besuchen. Während der Lehrkörper gemischt ist und auch Serben Albaner unterrichten und umgekehrt, sind die Studenten getrennt. Im Norden lernen Serben, im Süden Albaner. Gemeinsame Treffen fanden bisher nur in Mazedonien statt, doch der Weg zum Wir-Gefühl ist weit, erläutert Dragan Tomic:

"Bei dieser Exkursion hat man natürlich versucht durch ein gemeinsames Programm zwischen den beiden Gruppen ein gewisses Maß an Kommunikation herzustellen. Das war eine kleine Zahl, das war ein Pilotprojekt. Doch in ihrer Freizeit haben sie nicht miteinander kommuniziert; das kann nur die Zeit mit sich bringen; Denn die Kluft ist doch sehr groß."

Immerhin gibt es nun eine gemeinsame Studentenvertretung; der Lehrplan konzentriert sich vor allem auf europäisches Recht, das künftige Jungunternehmer im Kosovo dereinst brauchen werden. Denn gemeinsame Autonummern und eine Währung gibt es im Kosovo ebenso wenig wie ein gemeinsames Rechtssystem. Dazu sagt der Niederländer Yannick du Pont, der für Spark seit Jahren in der Region tätig ist:

"Nördlich des Ibar funktioniert kein Gerichtswesen, daher gibt es keine Umsetzung der Gesetze des Kosovo aber auch nicht der serbischen Gesetze. Worauf wir uns konzentrieren, sind die künftigen europäischen Standards, die nötig sein werden, um eine Firma zu führen; und natürlich sollen die Studenten wissen, wie man zum Beispiel Steuern zahlt im kosovarischen System. Wahr ist natürlich, dass die Wirklichkeit südlich und nördlich des Ibar komplett verschieden ist."

Komplett verschieden ist auch die Wahrnehmung von Geschichte und Gegenwart. Die Serben haben kein Sensorium dafür, was in ihrem Namen Albanern angetan wurde und können sich im Norden einfach nicht vorstellen, unter albanischer Herrschaft zu leben. Dabei fühlen sich auch die im Norden verbliebenen Albaner eher schutzlos, betont ihr Vertreter Adem Mripa:

"Vor dem Krieg lebten hier mehr als 20.000 Albaner, doch zwischen 1999 und 2004 übten serbische Extremisten massiven Druck aus, so dass auch jene Albaner, deren Häuser und Wohnungen nicht verbrannt wurden, mit Gewalt vertrieben wurden. So leben hier im Norden des Kosovo gerade noch 3.000 Albaner, während den Vertriebenen die Rückkehr verweigert wird. "

Den Kosovo-Albanern wiederum fehlt jedes Gefühl dafür, wie sehr die ungesühnten Ausschreitungen albanischer Extremisten im März 2004 bei den Serben noch nachwirken, und dass gerade die Mehrheitsbevölkerung um das Vertrauen der Minderheit werben muss. Hinzu kommt eine Schwarz-Weiß-Sicht selbst bei gemäßigten Albanern wie Adem Mripa, der die Lage der Serben so beschreibt:

"Die Serben können sich im Süden des Kosovo frei bewegen, obwohl sie Verbrechen begangen haben wie Vergewaltigungen, Mord, Brandschatzung und Plünderung. Doch die Albaner haben im Interesse der Zukunft die Vergangenheit hinter sich gelassen; so haben die Albaner die Hand zur Versöhnung gereicht, obwohl sie Opfer sind."

Ziemlich eingeschränkt ist derzeit die Bewegungsfreiheit der etwa 250 Albaner, die im Norden in drei Dörfern im Gemeindegebiet von Leposavic leben. Kosovo-Serben haben die Zufahrtsstraßen blockiert, und der einzige Weg führt über eine nicht blockierte Straße nach Süd-Mitrovica in albanisches Gebiet und dann über eine kaum geschotterte Straße zu den Dörfern wieder in den Norden. Die Belgrader Nummerntafeln werden aus Sicherheitsgründen abgenommen, Hinweise auf das Belgrader Autohaus werden überklebt und Adem Mripa ist so freundlich, uns als Fremdenführer zu begleiten. Während der Fahrt begegnen uns Militär- und Polizei-Patrouillen und wir sehen albanische Straßenarbeiter mit Baggern die den Zustand der Straße verbessern. Für die 40 Kilometer zum Dorf Bistrica brauchen wir eineinhalb Stunden. Den kleinen Dorfplatz prägen eine Ambulanz mit kosovarischer Fahne, eine Grundschule und ein Denkmal für Albaner, die im Kosovo-Krieg gefallen sind und getötet wurden. Das Leben in den Dörfern beschreibt der Vertreter der lokalen Albaner; Fatmir Avdyl, so:

„Seit Beginn der Blockaden haben wir einige Male Lebensmittel aus der Gemeinde Mitrovica erhalten; so brachte etwa das Rote Kreuz des Kosovo Mehl, Zucker und ähnliche Dinge. Hier arbeiten einige wenige als Boten für die Schule, doch die Mehrheit lebt von Sozialhilfe und Viehzucht, wobei das Land nicht gut genug für Landwirtschaft ist. Früher gab es auch mehr Geld aus dem Ausland, doch jetzt gibt es nur mehr sehr wenig."

Und welche Perspektive sieht Fatmir Avdyli für diese Gegend:

„Die Natur ist schön, auch für den Fremdenverkehr, doch jetzt kann man weder investieren noch arbeiten, solange das alles nicht gelöst ist. Das Gebiet ist gut für Viehzucht und Fischerei, wir haben einen Fluss mit dem saubersten Wasser im Kosovo, wir haben Forellen, es könnte Fischzucht und ein Motel hier geben. Doch solange die Lage so ist, wird man keinen finden, der investieren wird, weil es nicht sicher ist."

Profitiert hat von dieser Unsicherheit bisher nur die Organisierte Kriminalität, die keine nationalen Vorurteile kennt. So schwer Befriedung und Aussöhnung des Nord-Kosovo sein mögen, so positiv sind Hilfen im Kleinen wie durch die Organisation Spark, die auch günstige Kleinkredite an Jungunternehmer vergibt. Yannick du Pont von Spark sieht die Lage jedenfalls nicht als hoffnungslos an:

"Viele junge Menschen zieht es in die großen Städte, viele wollen in Pristina oder Belgrad in Sarajewo oder Skopje arbeiten. Es ist eben schwer, junge Menschen über ihr Studium hinaus hier zu halten. Doch es ist eben nicht unmöglich - wir sehen Familiengründungen, neue Kindergärten und Grundschulen werden eröffnet und zwar auch in Nord-Mitrovica, und diese Schulen sind voll. Und auch Wirtschaft gibt es; dazu zählen Landwirtschaft und Fischerei, und vielleicht können auch Teile der alten Industrie wieder belebt werden. Doch natürlich ist es ein Herausforderung, die gesamte Region zu beleben und die Jugend hier zu halten, doch dazu gibt es keine Alternative. Denn die Kombination von Arbeitslosigkeit und nationalem Konflikt ist sehr gefährlich und die Region würde ein Konfliktherd bleiben."

Zu lösen gilt es dabei praktische Verständigungsprobleme. Albaner unter 20 Jahren können kaum mehr Serbisch, junge Serben kaum Albanisch. Hält der Trend an, wird in 10, 15 Jahren wohl Englisch die Verkehrssprache in einem Staat sein, in dem UNO und EU sich angeblich seit mehr als zehn Jahren um ein multiethnisches Zusammenleben und um Verständigung bemühen.

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