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Kosovo vor der Wahl

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Fünf Jahre nach Kriegsende und drei Jahre nach der ersten freien Parlamentswahl wird im Kosovo am 23. Oktober neuerlich das Parlament gewählt. Dieses Mal erfolgt die Wahl bereits für vier Jahre. Zentrale Aufgabe des neuen Parlaments und der neuen Regierung wird es sein, Mitte kommenden Jahres gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft und Serbien die Verhandlungen über den endgültigen Status des Kosovo zu beginnen. Mitentscheidend für diese Gespräche wird sein, welche demokratischen und rechtsstaatlichen Standards der Kosovo bis zu diesem Zeitpunkt erreicht hat. Besonderes Augenmerk werden UNO, USA, EU und OSCE dabei auf die Voraussetzungen legen, die die Regierung für die Rückkehr vertriebener Serben geschaffen hat. Die Rückkehr ist nach massiven Ausschreitungen albanischer Extremisten gegen die verbliebenen Serben im März dieses Jahres weitgehend zum Erliegen gekommen. Doch diese Ausschreitungen richteten sich auch gegen die UNO-Verwaltung UNMIK, die von den Albanern als teuer und ineffizient betrachtet wird. Vor allem die wirtschaftliche und soziale Lage ist im Kosovo nach wie vor triste. Die Jugendarbeitslosigkeit wird auf mehr als 60 Prozent geschätzt, mehr als 80 Prozent aller Waren werden importiert, und eine Perspektive für eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Unser Balkan Korrespondent war mehrere Tage im Kosovo und hat folgendes Bild von der Lage in der nach Unabhängigkeit von Serbien strebenden Provinz gezeichnet.

Mit einem Manöver stellte jüngst die Friedenstruppe KFOR im Kosovo ihre Stärke zur Schau. Die multinationale Truppe ist vor der Parlamentswahl von 20.000 auf 22.000 Soldaten verstärkt worden, um allfällige Unruhen zu verhindern. Österreich ist mit 500 Soldaten an der KFOR beteiligt, die im Camp Casablanca stationiert sind. Zur Lage vor der Wahl sagt deren Kommandant Oberstleutnant Franz Baumgartner:

„Meine Einschätzung ist so, dass die Lage ruhig aber nicht stabil ist. Dass heißt, wir haben eine ruhige Oberfläche, man darf sich aber nicht darüber hinweg täuschen, dass unter dieser Oberfläche noch eine gewisse Unzufriedenheit ist, und damit auch eine Bereitschaft zu Konflikten.“

Ursache der Unzufriedenheit sind die schlechte Infrastruktur, der offene internationale Status der Provinz und die triste Gesamtlage. Albaner leben vor allem von Handel und Gewerbe, die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Die Landwirtschaft ist unterentwickelt, obwohl sie ein Faktor des Aufschwungs sein könnte. Dazu sagt der albanische Bauer Aslannaj Nesir:

„Der Milchpreis ist derzeit sehr niedrig und er deckt nicht unsere Kosten für das Viehfutter. Wäre der Preis höher, gäbe es sicher noch mehr Viehzüchter hier im Kosovo.“

Nesir hat 28 Kühe und einige Hektar Land. Doch er produziert nicht genügend Heu und muss daher Tierfutter zu kaufen. Angesichts mangelnder Mechanisierung, mäßiger Ausbildung und oft mäßiger Qualität des Saatgutes sind die Hektarerträge im Kosovo um etwa ein Drittel niedriger als in Österreich. Hinzu kommt, dass es an Dingen fehlt, die in Österreich selbstverständlich sind. Dazu sagt Peter Tomanek von der Raiffeisen-Holding, Niederösterreich-Wien:

„Es fehlt zum Beispiel komplett an Glashäusern, um die Erntesaison zu verlängern. Es gibt einige selbstgebaute Nachbildungen von Glashäusern, die man nicht ernsthaft als Glashäuser bezeichnen kann, weil es an allen Grundmaterialien fehlt. Wir wollen ein erstes Musterfoliengewächshaus noch heuer aufzustellen, um den Landwirten die Möglichkeiten der gemeinsamen Produktion in solchen Folienhäusern zu zeigen, damit sie in der nächsten Saison bereits selbst aktiv damit beginnen können.“

Raiffeisen und Hilfswerk Austria versuchen durch Saatgutspenden und den Aufbau von Molkereigenossenschaften Hilfe zu leisten. Außerdem soll eine Molkerei gebaut werden, denn Qualität und Kapazität der meisten Molkereien sehr gering. Doch mit Mangel an Milch zu kämpfen hat auch die modernste Molkerei des Kosovo im Grenzgebiet zu Montenegro. Sie gehört dem Familienunternehmen Devolli, könnte den Gesamtbedarf der Provinz decken, doch es gibt zu wenig Milchbauern. Dazu sagt Devolli-Manager Ekrem Hoxha:

„Trotz starker Ankündigungen durch UNMIK und durch unsere Regierung, dass sie eine wirkliche Strategie haben, um die lokale Produktion zu stärken und heimische Bauern zu ermutigen in Projekte zu investieren, ist bisher nicht viel getan worden. Das Steuer- und Bankensystem und die Kreditpolitik haben bisher die Privatinitiative der Unternehmer des Kosovo nicht unterstützt. Es gibt Signale und Anzeichen für Hoffnung, dass mit der Wahl einer neuen Regierung, und mit den Änderungen bei der UNMIK sich die Politik ändern, und zwar zugunsten der lokalen Produzenten.“

Mehr als 80 Prozent aller Waren werden derzeit in den Kosovo importiert. Dazu beigetragen hat auch das Steuersystem der Provinz. Dazu sagt Oliver J. Whittle von der Raiffeisen Bank Kosovo:

Die Wirtschaft hat sich erst jüngst zu ändern begonnen, weil die Regeln der Importsteuer geändert wurden. Nun werden Importe von Rohstoffen und Maschinen zu einem niedrigeren Steuersatz zugelassen als für Fertigwaren. Doch noch bis zu Jahresbeginn, gab es keinen Anreiz für lokale Produktion.“

Gehemmt wird die lokale Produktion auch durch die UNO-Verwaltung UNMIK als größtem Arbeitgeber. Sie zahlt Albanern zum Beispiel als Übersetzer weit höhere Gehälter als viele private Firmen ihren Mitarbeitern oder als die Regierung, der auch daher qualifizierte Beamte fehlen. Dazu sagt Ministerpräsident Bajram Rehxepi:

„Der höchste Beamte, der ständige Sekretär der Regierung, hat etwa 500 Euro. Dagegen verdient ein Übersetzer von 800 über 1000 bis 1500 Euro im Monat. Hinzu kommt, dass die Rekrutierung der Beamtenschaft noch nicht beendet ist, weil wir auch nicht genug Raum haben für unsere Ministerien. Um eine gut ausgebildete Verwaltung und Beamtenschaft zu haben, brauche wir vielleicht 10 Jahre, dass ist ein Prozess.“

Rehxepi hat nur eine beschränkte Machtfülle als Ministerpräsident. Die entscheidenden Kompetenzen liegen bei der UNMIK, die wiederum mit New York, Brüssel, Washington und anderen internationalen Organisationen Rücksprache halten muss. Schwerfälligkeit und Ineffizenz sind die Folge. Hinzu kommt, dass im serbischen Nordteil der Provinz eher Belgrad denn Prishtina das Sagen hat, die kosovarische Regierung somit nicht ein Mal das gesamte Territorium verwaltet. Doch auch dort wo die Regierung zuständig ist, sind die Erfolge in den vergangenen drei Jahren nur spärlich, räumt Bajram Rehxepi ein:

„Erstens bin ich unzufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Wir haben es nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu senken, sie steigt sogar. Auch das Gerichtswesen war nicht das beste in den vergangenen drei Jahren. Wir hofften auch, mehr Verantwortung übernehmen zu können, doch das geschah nicht. So hoffen wir, dass das nach der Bildung der neuen Regierung geschehen wird, um mehr Fortschritte bei der wirtschaftlichen Entwicklung und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu haben. Außerdem müssen bis Mitte 2005 einige Standards erfüllt werden.“

Die Politik Standards vor Status hat im Frühling 2002 der damalige UNMIK-Chef, der Deutsche Michael Steiner geschaffen. Sie sieht vor, dass im Kosovo zuerst Demokratie, Rechtsstaat, Menschen- und Minderheitenrechte verwirklicht werden müssen, ehe über den endgültigen internationalen Status der Provinz verhandelt wird. Die Albaner sahen in dieser Politik vor allem ein Mittel der internationalen Gemeinschaft, die ersehnte Unabhängigkeit hinauszuzögern. Genutzt wurde dieses Mittel auch von Serbien, dass an raschen Standards kein großes Interesse zeigte. Nach den Unruhen im März und der Ernennung des fünften UNO-Verwalters binnen fünf Jahren musste die internationale Gemeinschaft erkennen, dass die Politik Standards vor Status nicht mehr zu halten war. Nun heißt es Standards und Status. Damit ist gemeint, dass vor allem die Grundlagen für die Flüchtlingsrückkehr geschaffen werden, wobei ab Mitte 2005 mit der Debatte über den Status begonnen werden soll. Den Maßstab für diese Standards erläutert in Prishtina der österreichische Diplomat Alexander Bayerl so:

„Ich glaube, der Maßstab muss eindeutig auf der qualitativen Ebene liegen, denn im quantitativen Bereich wird es sehr schwer sein, innerhalb kürzester Zeit eine große Zahl vertriebener Serben zur Rückkehr zu bewegen. Das, was die internationale Gemeinschaft versucht zu erreichen, ist die juristischen aber auch die faktischen Grundlagen für Rückkehr zu erreichen. Wenn das gelingt, haben wir schon eine gute Grundlage, um im kommenden Jahr den Status zu diskutieren.“

Diese Debatte wird sehr schwierig werden. Belgrad lehnt jede Unabhängigkeit ab, und sogar die Teilnahme der Kosovo-Serben an der Parlamentswahl ist umstritten. Die serbische Regierung ist dagegen, der serbische Präsident dafür. Statt einer Einheitsliste wie vor drei Jahren, treten nur zwei kleine serbische Parteien zur Wahl an. Vorstellbar ist für Serbien bestenfalls eine Teilung des Kosovo. Das wiederum lehnen die Albaner und die internationale Gemeinschaft ab, wobei EU, Russland und USA noch keine gemeinsame Haltung zur Zukunft der Provinz gefunden haben. Doch die Klärung des Status ist nicht nur wichtig, um den Balkan zu stabilisieren, wie Ministerpräsident Bajram Rehxepi betont:

„Wir können keine wirklichen Investitionen ohne die Definition des Status erwarten. Denn ernsthafte Unternehmen brauchen Garantien durch die Regierung und nicht durch UNMIK. Der ungeklärte Status führt auch dazu, dass wir keine Kredite von internationalen Finanzinstitutionen bekommen können.“

Finanzielle Überlegungen sollten auch in Europa mit ein Grund für eine zügige Lösung des Kosovo-Problems sein. Denn unklarer Status und ineffiziente internationale Verwaltung kamen bereits jetzt den europäischen Steuerzahler recht teuer zu stehen und weitere Ausgabe sind unvermeidlich. Dazu sagt der kosovarische Journalist Blerim Shala:

„Nach verschiedenen Angaben werden wir etwa zwei Milliarden Euro an Hilfe brauchen, um die Gesellschaft des Kosovo zu stabilisieren. Das ist etwa dieselbe Summe, die ausgegeben wurde, um den Kosovo am Beginn zu stabilisieren und wieder aufzubauen. Ich bin nicht sicher, ob das viel ist, um Stabilität zu erreichen. In der Vergangenheit suchten die Kosovaren Asyl und Unterkunft in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in ganz Westeuropa. Die Kosten der Regierungen für die Unterbringung dieser Asylwerber sind viel höher als diese zwei Milliarden Euro. Es ist viel besser hier zu investieren und die Wirtschaft zu stabilisieren und damit eine neue Flüchtlingswelle zu verhindern als auf eine neue Katastrophe zu warten.

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