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Kosovo Prozeß gegen Milosevic

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Berichte Kosovo
In Belgrad hat am Dienstag der Prozeß gegen Slobodan Milosevic vor dem Haager Tribunal begonnen. Milosevic muß sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstoß gegen internationale Bestimmungen zur Kriegsführung im Kosovo und in Kroatien ver-antworten. Dieselben Straftaten werden Milosevic auch in der Anklage wegen des Krieges in Bosnien vorgeworfen, doch umfaßt diese Anklage auch den Vorwurf des Genozids, also des Völkermordes. Ursprünglich wollte das Gericht diese drei Anklagen getrennt verhandeln, doch setzte sich Chefanklägerin Carla Del Ponte mit ihrem Antrag durch und alle drei Verfahren wurden zusammengelegt. Trotzdem wurde in Den Haag mit dem Kosovo begon-nen. Die Vorbereitung des Verfahrens dauerte sieben Monate. Auch in Serbien wird der Prozeß natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Über die Stimmung in Serbien

berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz:

Samstag, der neunte Februar, war ein wunderschöner Tag in Belgrad. Bei frühlingshaften Temperaturen flanierten viele Belgrader durch die Innenstadt, kauften ein oder genossen nur das schöne Wetter. Lediglich die Kundgebung am Platz der Republik störte ein wenig die freundliche Stimmung. Denn die SPS, die Sozialistische Partei Serbiens, hatte zu einem „Volksprotest gegen Den Haag“ aufgerufen, wie es auf den Plakaten für die Demonstration hieß. SPS-Vorsitzender ist nach wie vor Slobodan Milosevic, der sich seit Dienstag vor dem Tribunal in Den Haag verantworten muß. „Ein freier Slobodan in einem freien Serbien“ lautete denn auch eine der Parolen der sozialistischen Spitzenfunktionäre im Belgrader Stadtzentrum. Milosevics Stellvertreter in der SPS, der frühere serbische Ministerpräsident Mirko Marianovic, drückte seine Abscheu vor dem Tribunal sogar mit folgendem Vergleich aus:

„Sogar der Hitler-Gerichtshof, beim Prozeß gegen Dimitrov, wegen der lügenhaften Anklage wegen des Reichstagsbrandes war ein wirkliches Gentlemen-Gericht im Vergleich zu Den Haag.“

Den Prozeß gegen Milosevic bezeichneten Marianovic und andre Redner auch als Prozeß gegen das gesamte serbische Volk und den Staat.“ Alle patriotischen Kräfte des Landes müßten sich daher vereinen, um den Staat zu verteidigen; denn das Haager Tribunal habe die Aufgabe unser Land zu vernichten und für alles verantwortlich zu machen, was im ehemali-gen Jugoslawien geschah. Die Zahl der Kundgebungsteilnehmer am Belgrader Platz der Republik blieb weit unter den Erwartungen der Organisatoren. So hatten die Sozialisten erklärt, 100.000 Serben würden nach Belgrad zur Demonstration kommen, doch es waren nur einige Tausend. Dieser Umstand darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, daß die Mehrheit der Serben nicht nur Milosevic sondern auch das Haager Tribunal als politischen Gerichtshof ablehnt. Daß diese Einstellung tatsächlich weit verbreitet ist, zeigt auch eine Straßenbefra-gung in Belgrad zum Prozeß gegen Milosevic:

„Das ist eine derartige Farce, um nicht zu sagen Zirkus, ernsthaft, diese kostümierten Richter, das ist völlig unpassend.“

Er ist vor dem Tribunal gut aufgetreten und hat ihnen alles klar gesagt. Ich denke, dort sind die größten Gauner.

Das ist eine politische Institution ohne Legitimität.“

Ich bin Mitglied keiner politischen Partei, doch sein Verhalten in den Haag mag ich. Er schaut ihnen in die Augen und sagt ihnen die Wahrheit, dasselbe, was ich sagen würde.

Viele Serben sehen in dem Prozeß gegen Milosevic auch den Versuch, die Geschichte des zehnjährigen Zerfalls Jugoslawiens via Gerichtsurteil zu schreiben. Dabei soll Serbien die Alleinschuld für die Kriege und Greuel zugewiesen werden, glauben nicht nur Anhänger von Slobodan Milosevic:

Sie wollen, daß wir an allem schuld sind. Ich verteidige Milosevic nicht, aber es ist unmöglich, daß die Serben für alles die Schuld tragen.

Möglicherweise schreiben sie die Geschichte, doch sie wird nicht wahr sein. Wie viele wurden hier getötet, als sie den Kosovo zu verteidigen hatten. Ich bitte Sie!

Die Masse der Serben zieht zweifellos nur die eigenen Opfer. Dazu tragen auch die Medien und viele Politiker in Serbien bei. Berichtet wird vor allem über die eigenen Vertriebenen und Vermißten sowie über die Unfähigkeit des Westens die Rückkehr der Serben in den Kosovo zu ermöglichen. Eine Aufarbeitung mit der eigenen Rolle beim Zerfall Jugoslawiens ist praktisch nicht in Gang gekommen. Nur als es darum ging, die Auslieferung von Milosevic vorzubereiten, waren Massengräber in Serbien mit vorwiegend albanischen Opfern ein Thema. Doch mit der Auslieferung ist dieses Thema fast schlagartig aus den meisten Massenmedien verschwunden. Dieser Umstand kommt auch Slobodan Milosevic zugute, der sich vor dem Haager Tribunal als Märtyrer des serbischen Volkes zu profilieren sucht. So sagte Milosevic bereits vor Prozeßbeginn in einer Anhörung durch das Tribunal:

„Ich fordere meine Freilassung. Ich fordere die Freilassung weil ich hoffe, daß Ihnen und der ganzen Welt klar ist, daß ich vor diesem Kampf gegen mein Land und mein Volk nicht fliehen werde. Und ich habe nicht die Absicht zu fliehen. Daß Sie mich hier unter diesen unwürdigen Bedingungen gefangen halten, mir so jede mögliche Gleichheit nehmen, Fakten vorzulegen, wird dieser Institution nicht zur Ehre gereichen, selbst wenn sie legal sein sollte. Und sie wissen, daß sie nicht legal ist.“

Juristisch beraten wird Milsoevic von sechs Rechtsanwälten, einem Franzosen, der auch den Terroristen Carlos verteidigte, einem Amerikaner, einem Südafrikaner, einem Engländer und zwei Serben. Einer von ihnen ist der Belgrader Anwalt Stenko Tomanovic. Zum Verhalten seines Mandanten sagt er:

„Milosevics Art der Veteidigung ist, daß er das Tribunal nicht anerkennt sowie die Möglichkeit der Anklage und des Gerichts in Frage stellt, ein faires Verfahren zu organisieren, vor allem wenn man bedenkt, wie die Medien das Tribunal bei der Verhaftung unterstützt haben. Milosevic hat bisher kein einziges Dokument des Tribunals angeschaut, weder die Anklage noch irgend ein anderes Papier der Anklage, keine schriftliche Aufforderung und am wenigsten beachtete er Aussagen von Zeugen, die der Ankläger ihm zustellt.“

Das Haager Tribunal charakterisiert Tomanovic so:

„Jedes Ad-hoc-Strafgericht ist ein politischer Gerichtshof. Wenn es ein politischer Gerichtshof ist, dann steht Recht an zweiter und die Politik an erster Stelle.“

Das Haager Tribunal ist die vorläufig letzte Station im Leben von Slobodan Milosevic. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß eine Gefängniszelle auch die letzte Station des nunmehr 61-jährigen Milosevic sein könnte; denn an einen Freispruch glaubt wohl praktisch niemand. Doch Gewißheit wird man voraussichtlich frühestens in einem Jahr haben, denn so lange soll der Prozeß mindestens dauern. Das Interesse der Serben an den ersten Prozeßtagen war groß, doch nicht nur aus politischen Gründen, wie eine Frau sagt:

„Ich denke, ich werde viel Spaß haben. Eine gewisse Zeit lang war er der einzige Mann den ich haßte, doch nun habe ich meine Meinung geändert. Jetzt habe ich Spaß, wenn ich diesem Spiel ohne Ende zuhöre, worüber er spricht. Ich mag das wie ein TV-Programm. Ich hoffe, es kommt in Episoden wie eine Seifenoper.“

Dieser leichte Stimmungsumschwung mag ein Einzelfall sein. Milosevic selbst wird er nicht mehr helfen, denn die Mehrheit der Serben betrachtet ihn als Katastrophe für ihr Land. Doch noch wird Milosevic vor allem wegen seines Scheiterns und nicht wegen seiner politischen Ziele an sich abgelehnt. Sollten die schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen in Serbien daher nicht mittelfristig zu einem besseren Leben der Masse der Bevöl-kerung führen, kann ein neuer Kosovo-Mythos nicht ausgeschlossen werden. Doch auch ohne diesen Mythos ist der Weg zur Aussöhnung im ehemaligen Jugoslawien noch weit. Denn Stereotype beherrschen noch immer das Bild vom anderen, nicht nur in Serbien. Der Prozeß gegen Slobodan Milosevic an Den Haag wird jedenfalls kaum dazu führen, diese Klischeebilder abzubauen.
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