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Vor erstem Referendum in der Geschichte Bulgariens

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In Bulgarien findet am Sonntag die erste Volksabstimmung in der Geschichte des Landes statt. Zu entscheiden haben die Bulgaren dabei über den weiteren Ausbau der Atomkraft. Nach Umfragen ist eine klare Mehrheit für den Ausbau, doch ist es sehr fraglich, ob genügend Bulgaren an der Abstimmung teilnehmen, damit die Volksabstimmung auch gültig ist. Diese Frage ist vor allem deshalb entscheidend, weil bei einer ausreichenden Teilnahme wohl der Standort Belene zum Zuge kommen müsste. Während Experten das Projekt Belene für nicht finanzierbar halten, hofft die Kleinstadt im Norden Bulgariens praktisch geschlossen auf den Bau dieses Projekts, dessen Ursprünge bereits in die kommunistische Zeit zurückreichen. Unter den Parteien ist nicht nur der weitere Ausbau der Kernkraft umstritten, sondern noch viel mehr die Frage, wo und in welcher Form ein weiteres Kraftwerk gebaut werden soll, denn als zweite Option gilt ein weiterer Reaktorblock im bestehenden AKW Kosloduj. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war in Belene, hat mit Vertretern der Parteien gesprochen und den folgenden Beitrag über das erste bulgarische Referendum gestaltet:

Die Kleinstadt Belene liegt im Norden Bulgariens direkt an der Donau. Seit 25 Jahren leben die Bewohner von der Hoffnung, dass das Atomkraftwerk hier gebaut wird. Denn nach dem Fall des Kommunismus vor mehr als 20 Jahren brachen viele landwirtschaftliche Betriebe zusammen, und so ist fast jeder Dritte der 10.000 Bürger arbeitslos. Trist wirkt auch das Baugelände für das AKW; einige Gebäude wurden errichtet, doch der Zaun um das große Areal schützt vorwiegend gähnende Leere, weil der bisher letzte Versuch eines Baubeginns vor einigen Jahren scheiterte. Das hatte auch Folgen für die Gemeinde, betont der Bürgermeister von Belene, Petar Dulew:

„Bis vor dreieinhalb Jahren, als es noch Arbeiten für die Vorbereitung des AKW gab, betrug unser Budget zwischen fünf und sechs Millionen Euro. Seit damals wurde das Budget zwei Mal gekürzt. 2012 betrug das Budget nur 2,6 Millionen Euro. Doch tatsächlich haben wir nur eingeschränkte Möglichkeiten, durch eigene Einnahmen der Gemeinde diese Kürzungen auszugleichen, um Projekte umzusetzen, die der Entwicklung von Belene dienen sollen.“

Dulew setzt daher vor allem auf Projekte, die von der EU gefördert werden, um Belene zu entwickeln. Finanziert wurden und werden so die Straßenbeleuchtung, die Kanalisation und die Abwasserentsorgung. Große Hoffnung setzt der Bürgermeister auf den Fremdenverkehr. Doch trotz römischer Ausgrabungen und Naturreservat kommen wenige Touristen; zu unterentwickelt ist die Infrastruktur; so fehlt etwa eine Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe, die auf der Donau das Städtchen passieren. Wegen der tristen Lage gibt es in Belene praktisch keine Sicherheitsbedenken gegen das AKW wie eine Straßenbefragung zeigt:

Mann:

„Ich hoffe, dass dieses Projekt zustande kommt, weil das die Wirtschaft im ganzen Norden von Bulgarien entwickeln wird. So erwarten wir, dass allein in der ersten Welle 7.000 Arbeitsplätze geschaffen werden und weitere 30.000 für den Ausbau der Infrastruktur.“

Ältere Frau:

„Es gibt keine Arbeit für die Jungen; wir sind Pensionisten, doch die Jungen wandern entweder nach Sofia oder ins Ausland ab; daher brauchen wir das AKW.“

Alle Hoffnung ruht in Belene nun auf dem Referendum, das am Sonntag zum Ausbau der Atomenergie stattfindet. Für diesen Standort ist als einzige relevante politische Kraft die oppositionelle sozialistische Partei. Die Sozialisten lehnen einen Ausbau des AKW in Kosloduj auch deshalb ab, weil für Belene alle Genehmigungsverfahren abgeschlossen seien. Dazu sagt das in Deutschland aufgewachsene Mitglied des Parteivorstandes, Deniza Slateva:

„Wir haben neun Jahre gebraucht bis alle Genehmigungen vorgelegen sind, bis auch der Standort zertifiziert ist, auch was Erdbeben betrifft; der Standort ist zertifiziert, es ist auch sehr viel vorgeleistet an Bau und Konstruktion. Der bulgarische Staat hat bisher drei Milliarden Leva dafür ausgegeben, und wenn das Projekt nicht umgesetzt wird, dass ist das hinausgeworfenes Geld. Bei Kosloduj muss man von Nunn anfangen, und deshalb sagen die Experten, dass es in absehbarer Zeit keinen funktionierenden Reaktor geben kann.“

Gegen Belene ist die konservative Regierung, die von der Partei GERB geführt wird. Ministerpräsident Bojko Borissow hält das Projekt für unfinanzierbar. Im ORF-Interview sagt Borissow:

„Wir haben eine Schätzung bekommen, wie viel der Bau von Belene noch kosten würde, und das sind etwa 11 Milliarden Euro. Sollte das Volk beim Referendum Ja sagen, dann würde das Land bankrottgehen. Daher sind wir für den Ausbau von Kosloduj und kategorisch gegen Belene. Jeder, der beim Referendum mit JA stimmt, muss wissen, woher wir diese 11 Milliarden abziehen, vom Bildungs- oder Gesundheitswesen, vom Sport oder der Infrastruktur. Das muss sich jeder überlegen.“

Borissow sieht in Belene ein Fass ohne Boden, das er von der sozialistischen Regierung geerbt habe, und in das kein Geld mehr geschüttet werden dürfe. Für das Projekt seien bereits hunderte Millionen Euro ausgegeben worden, auch ein russischer Reaktor sei zu zwei Drittel bezahlt. Hinzu komme noch eine Klage Russlands mit einem Streitwert von einer Milliarde Euro, weil das Projekt gestoppt worden sei. Die Regierungspartei GERB argumentiert auch, dass Strom aus Belene viel teurer wäre als aus Kosloduj, das bestreiten die Sozialisten. Sie stehen der Atomenergie weit weniger skeptisch gegenüber als die Partei GERB, die auf die Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima verweist. Warum Atomstrom trotzdem unverzichtbar sei erläutert der Gerb-Abgeordnete Dian Tscherwenkondew:

„Bulgarien braucht die Kernenergie, weil derzeit mehr als 30 Prozent unserer verbrauchten Energie aus Atomenergie stammen. Den Wert wollen wir halten; so diversifizieren wir dann unsere Energiequellen und Energielieferungen. Atomenergie ist wichtig, aber nicht um jeden Preis. Wir sind dafür, die Laufzeit des 5. und 6. Reaktorblocks in Kosloduj zu verlängern und, wenn es möglich ist, einen 7. oder 8. Reaktorblock zu bauen.“

Damit könnte auch der russische Reaktor genutzt werden, den Bulgarien weitgehend bezahlt habe, betont Tscherwendkondew. Doch der Faktor Russland ist ein Argument, das Belene-Gegner ebenfalls ins Treffen führen. Dazu zählt Iwan Nikolajew, Vertreter einer kleinen Oppositionspartei im Parlament in Sofija:

„Der Bau des AKW Belene mit russischer Technologie und russischen Brennstäben würde bedeuten, dass Bulgarien auf Jahrzehnte abhängig bliebe von seinen Energie-Beziehungen zu Russland; das umso mehr, weil wir nur von Gazprom unser Gas beziehen und auch Öl nur aus Russland bekommen. Doch Bulgariens Weg führt nach Europa, und Deutschland und Österreich können uns als gutes Beispiel dienen, in welche Richtung sich die Energiepolitik entwickeln soll.“

Damit das Referendum gültig ist müssen ebenso viele Bulgaren teilnehmen wie bei der vergangenen Parlamentswahl; im Jahre 2009 waren das 4,3 Millionen; fraglich ist, ob diese Zahl am Sonntag erreicht wird. Wird sie verfehlt, gehen aber mehr als 20 Prozent zur Abstimmung, hat das Parlament das letzte Wort bei der Wahl des Standorts; daher hat die Kleinstadt Belene derzeit kaum Chancen, ihr ersehntes AKW zu bekommen. Doch wie soll dann der unterentwickelte Norden Bulgariens entwickelt werden. Ministerpräsident Bojko Borissow antwortet so:

„Ob absichtlich oder aus Dummheit wurde diese Region lange in einem Zustand gehalten, wo es zwischen Rumänien und Bulgarien nur eine einzige Donaubrücke gab, und zwar auf einer Länge von 600 Kilometern. Zum Vergleich: in Budapest gibt es neun Brücken. Doch ohne Straßen und Brücken gibt es auch keine Entwicklung, denn auch die alten Römer haben zuerst die Straßen gebaut und dann alles andere.“

Die Reste einer römischen Zollstation können Besucher an der Donau in Belene besichtigen, und Kulturtouristen will auch die Stadt anlocken. Sie setzt ebenso wie Borissow auf EU-Mittel und die Donauraumstrategie, um die Region zu erschließen. Wenn das Projekt über das am Sonntag abgestimmt wird, ohnehin nicht finanzierbar sein dürfte, welchen Sinn hat dann dieses erste Referendum? Einen großen, behauptet der Energieexperte und frühere bulgarische Botschafter in Moskau Ilijan Vasiljew

„So baut man eine neue Kultur der Kommunikation mit den Wählern auf. Die Referendumskampagne bietet der Mehrheit der Bürger die Möglichkeit, gut informiert zu werden, eine Chance, die bisher nicht bestand. Ich hoffe, dass dadurch ein Präzedenzfall geschaffen wird, damit dieses Instrument öfter verwendet wird, um Fragen zu lösen, die außerordentlich wichtig für das Land sind, und wo es besser ist, dass die politische Klasse die Verantwortung mit dem Volk teilt, als hinter verschlossenen Türen selbst zu entscheiden.“

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