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Die Orthodoxie zwischen belasteter Vergangenheit und kompromittierter Gegenwart

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Mitte Juni verlieh der Bischof von Plowdiw, Nikolaj, einem bekannten ehemaligen Waffenhändler aus kommunistischer Zeit den kirchlichen Ehrentitel Archont. Diese Auszeichnung, die als Dank für eine saftige Geldspende an die Orthodoxe Kirche erfolgte, löste in Bulgarien eine Welle der Empörung und Bestürzung aus. Sie war umso größer, weil der 40-jährige Nikolaj einer der wenigen bulgarischen Bischöfe oder Metropoliten ist, der nicht mit den früheren kommunistischen Machthabern zusammengearbeitet hat. Hinzu kommt, dass der Heilige Synod in Sofia im Jahre 2007 die Verleihung von Ehrentiteln an Laien ausdrücklich verboten hatte, nachdem der Bischof von Stara Zagora einem ultranationalistischen Politiker den Titel Archon, zu Deutsch Anführer verliehen hatte. Doch die zweifelhafte Nähe zu Geschäftsleuten mit zweifelhaftem Ruf ist nur eines der Probleme, mit denen die Orthodoxe Kirche in Bulgarien unter ihrem 98jährigen Patriarchen Maxim zu kämpfen hat. Aus Bulgarien berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

500.000 Euro kostete der Bau einer neuen Kirche in Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Ihr Stifter ist der ehemalige Agent und Waffenhändler Petar Mandschukow; in Plowdiw geboren zählt der 70-jährige zu den erfolgreichen Geschäftsleuten, die die Zeit der Tranisition in Bulgarien zum Aufbau eines Wirtschaftsimperiums nutzen. Manschukows Großzügigkeit belohnte der Bischof von Plowdiw, Nikolaj, mit dem Ehrentitel Archont. Nikolaj gilt als konservativ, als klarer Gegner der Ökumene, ist aber den schönen Seiten des Lebens offensichtlich nicht abgeneigt. So soll er sich oft mit teuren Uhren zeigen und ließ sich zwei teure Autos schenken. Nikolaj sowie die Mehrheit der Bischöfe reagierten nicht auf die Kritik an der Auszeichnung. Der 70-jährige Mandschukow gilt als großer Wohltäter, der auch die Erneuerung der Alexander Newski-Kathedrale in Sofia unterstützt. …

In dieser Kathedrale wirkt Bischof Tichon Iwanow, der in Stuttgart geboren wurde und lange im Ausland gelebt hat. Der 77-jährige gilt als einer der wenigen aufgeschlossenen Bischöfe Bulgariens; am Verhalten des Bischofs von Plowdiw übt Tichon vorsichtig Kritik

„Tatsächlich müsste der Grund zur Sorge nicht so sehr die Verleihung des Titels, sondern der Umstand sein, in welchem Ausmaß unsere Metropoliten noch in Abhängigkeit von derartigen Leuten stehen. Das ist das große Problem. Diese kommunistische Geheimpolizei besteht nicht mehr, doch einige ihrer Mitglieder haben noch Funktionen und haben sich gehalten.“

In welchem Ausmaß die Kirchenführung bis zur Wende im Jahre 1990 mit den kommunistischen Machthabern zusammenarbeitete zeigen Geheimdienstarchive, die eine staatliche Kommission untersucht. Der Journalist Goran Blagoew, der im Staatsfernsehen die wöchentliche Religionssendung gestaltet, befasste sich intensiv dem Thema Kollaboration. 11 von 15 Bischöfen waren mit dem kommunistischen Geheimdienst verbunden; so mancher spionierte auch im Ausland. Einer trug sogar den Titel Major. In dieser Zusammenarbeit sieht Goran Blagoew nach wie vor eine moralische Belastung für die Kirche:

„Der hohe Klerus hat diese Beziehung öffentlich nie erklärt und das Volk nicht um Verzeihung gebeten. Denn wie kann man dem einfachen Menschen klar machen, das du der Kirche und Gott dienst, während Du gleichzeitig freiwillig die Zusammenarbeit mit einem Dienst akzeptierst, der Gott und Kirche negiert. Das ist absurd.“

Ob und wie sehr diese Kollaboration die gesamte Kirche in den Augen der Gläubigen diskreditiert, ist umstritten. Weniger kritisch als Blagoew sieht der Professor an der Theologischen Fakultät in Sofia, Dilian Nikolchev, die Folgen der Kollaboration:

„Ich würde das nicht mit der Diskreditierung der gesamten Orthodoxen Kirche gleichsetzen. Denn sie besteht nicht nur aus den Bischöfen und aus den 11 Metropoliten, von denen wir aus ihren Dossiers wissen, dass sie Mitarbeiter und Agenten des Geheimdienstes waren. Die Kirche ist ein gemeinschaftlicher Körper, der auch das Kirchenvolk und die übrigen Kleriker umfasst. Doch man könnte sagen, dass die diskreditiert sind, die in der Vergangenheit gesündigt haben.“

Als moralische Autorität, die in wichtigen gesellschaftlichen Fragen gehört wird, spielt die Kirche in Bulgarien jedenfalls kaum eine Rolle. Während in Sofia nun das letzte große kommunistische Denkmal abgerissen wird, konnten sich der Heilige Synod oder der 98-jährige Patriarch Maxim bisher nicht zur Vergangenheitsbewältigung aufraffen. Drei Viertel der 7,4 Millionen Bulgaren gelten als orthodox, zehn Prozent sind Muslime und weniger als ein Prozent sind Katholiken. Es gilt Religionsfreiheit, doch hebt die Verfassung das orthodoxe Christentum als traditionelle Kirche Bulgariens hervor. Für Würdenträger ist der konservative Ministerpräsident Bojko Borisow jedenfalls ein wichtiger Ansprechpartner. Denn für die Erneuerung von Kirchen und Klöstern versprach Borisow eine Finanzhilfe von 20 Millionen Euro. Dabei ist das Verhältnis zum Staat auch deshalb nicht ungetrübt, weil es keinen Religionsunterricht in den Schulen gibt. Dazu sagt Vater Ioan, der als Priester in der Kirche des Heiligen Georg in Sofia wirkt:

In Bulgarien sind in Bezug auf ihren Glauben nur die Bulgaren diskriminiert. Denn die Muslime haben Religionsunterricht; es gibt hunderte Moscheen, die von außen finanziert wurden, das würde kein anderes Land erlauben, dass Ideologie finanziert wird. Die Armenier haben Religionsunterricht in ihren Gemeinden; gleiches gilt für Katholiken und Juden. Nur bulgarische Kinder haben keine Möglichkeit, Religionsunterricht zu besuchen, denn der Lehrplan erlaubt Religionsunterricht nur als Freifach.“

Die Forderung nach Religionsunterricht ist innerkirchlich aber nicht unumstritten. Gegen die Einführung ist Bischof Tichon:

„Ich weiß nicht, ob Religionsunterricht als Pflichtfach die beste Lösung ist, weil uns die Ressourcen für die Religionslehrer fehlen. Doch das würde auch der islamischen Gemeinschaft das Recht dazu einräumen. Und sie verfügt über Geld aus Saudi-Arabien und aus anderen Ländern mit Öl, und könnte sich viel schneller organisieren. Somit wäre eine derartige Regelung zum Nutzen der islamischen Gemeinschaft und nicht der orthodoxen Kirche.“

Zuverlässige Informationen über die Finanzkraft der Kirche fehlen. Zwar ist sie steuerbefreit, doch die Restitution ist noch nicht abgeschlossen. Priester erhalten von der Kirche einen Lohn von etwa 150 Euro im Monat. Der Verkauf von Devotionalien und vor allem von Kerzen ist eine zentrale Einnahmequelle. Hinzu kommen Gebühren für Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse, die dem Priester verbleiben, der damit auch seine Familie ernähren muss. Eine Taufe kostet je nach Kirche und Region zwischen 20 und 40 Euro. …

1600 Priester soll es in Bulgarien geben aber nur 80 Mönche, die das Reservoir für künftige Bischöfe bilden. Acht von ihnen leben im weltberühmten Rila-Kloster, das ein großer Anziehungspunkt für Pilger und Touristen ist. …

Vor zehn Jahren besuchte Papst Johannes Paul der II. das Kloster. Seit seiner Bulgarien-Reise hat der Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche kaum Fortschritte gemacht. So stößt bei Vater Ioan bereits der Begriff Ökumene auf massive Ablehnung:

„Die Ökumene so wird die neue Häresie, die neue Ketzerei genannt – da wird Lüge mit Wahrheit vermischt; der Dialog darf nicht auf einem Kompromiss bei Glaubenswahrheiten beruhen, denn die Wahrheit ist Christus. Seine Lehre ist unverändert bewahrt in der heiligen orthodoxen Kirche; und obwohl Byzanz politisch gefallen ist, besteht es geistig weiter und der Träger ist die Orthodoxie. Diese orthodoxe Wahrheit wir die menschlichen Seelen retten bis zur erneuten Rückkehr von Jesus Christus.“

Gemäßigte Stimmen und Optimisten wie Bischof Tichon sind klar in der Minderheit:

„Ich behaupte, dass es beim Vatikan große Sympathien für unsere Kirche und unser Volk gibt. Jetzt gibt es einen ziemlichen Widerstand gegen die Ökumene, die nicht verstanden wir als Beitrag zur Entwicklung der Orthodoxie, sondern als etwas, das gegen die Orthodoxie gerichtet ist. Doch ich bin weiter Optimist und behaupte, dass eines Tages die historischen Wege der beiden Kirchen zusammenführen werden.“

Doch noch ist es lange nicht so weit, obwohl die Herausforderungen eines säkularisierten Bulgarien in einem säkularisierten Europa wohl genug Ansatzpunkte auch für eine Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche bieten sollten.

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