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20250503 Kleine Zeitung Bosnien im Krisenmodus Wehrschütz

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Kleine Zeitung
Berichte Bosnien

Im ehemaligen Jugoslawien zählt der Staat Bosnien und Herzegowina zu den absoluten Nachzüglern auf dem Weg Richtung EU. Gespräche über einen Beitritt sind nicht in Sicht, vor allem deshalb, weil die drei Volksgruppen, Bosniaken, Serben und Kroaten in zentralen Fragen keinen gemeinsamen Nenner finden. Die jüngste Krise hervorgerufen hat die Führung der bosnischen Serben unter Milorad Dodik; sie tun alles, um den komplizierten Gesamtstaat zu schwächen; dazu zählt die Missachtung eines Urteils eines bosnischen Gerichts sowie eines Haftbefehls und die Funktion des Hohen Bosnien-Repräsentanten der UNO. Der gesamte Staat ist paralysiert, eine Feststellung, die Milorad Dodik, der Präsident des serbischen Teilstaates im Gespräch mit mir sofort ins Treffen führt:

"Bosnien und Herzegowina funktioniert nicht und es gibt keine Chance, dass dieser Staat funktionieren wird, trotz aller vergeblichen Anstrengungen, die unternommen werden. Das Beste und vernünftigste wäre es für Bosnien, dass der Staat entlang der Grenzen der Teilstaaten getrennt wird, und dass man dann versucht, gute Beziehungen aufzubauen."
Dass Dodik sehr viel dazu beiträgt, dass der Gesamtstaat nicht funktioniert, wird von ihm nicht erwähnt. Doch Dodik ist bei der Lähmung des Gesamtstaates, der auch noch aus der Bosnisch-Kroatischen Föderation besteht keineswegs allein auf weiter Flur. Wie die Entwicklung in Mostar, der Hauptstadt der Herzegowina zeigt, gelang es Kroaten und Bosniaken auch ohne serbische Beteiligung der Verwaltung einer Stadt jahrelang zu lähmen. In diesem Sinne charakterisiert den auch in Banja Luka die Vertreterin der Friedrich Ebert-Stiftung, Tanja Topic, die politische Realität so:
"Das gesamte System ermöglicht Blockaden und Erpressungen, die die politischen Akteure gekonnt nutzen; einmal ist das eine Partei der bosnischen Serben, die SNSD, dann wiederum die kroatische HDZ, und hin und wieder auch politische Parteien der Bosniaken.“
Milorad Dodik wiederum negiert - bisher folgenlos - nicht nur Gerichtsurteile und Haftbefehle des Gesamtstaates, sondern fordert überhaupt eine Beseitigung aller Institutionen, die nach dem Friedensvertrag von Dayton geschaffen wurden, um aus einer Art Konföderation einen Staat zu machen:
„In der Verfassung sind auch keine Staatsanwaltschaft und keine Gerichte vorgesehen; doch das hat nun Bosnien und Herzegowina. Das gilt auch für die Sonderpolizei SIPA; all das ist nicht im Dayton-Vertrag vorgesehen, das sind alles Lügen. Und diese Organe werden uns nun aufgezwungen, damit wir weiter unsere Autonomie verlieren."

Den Vorwurf, ein serbischer Separatist zu sein, weist Milorad Dodik zurück; wenn auch nicht derart deftig wie gegenüber anderen Meden, so lässt er auch mir gegenüber kein gutes Haar an der österreichischen Außenministerin, die ihn de facto mit einem Einreiseverbot belegt hat, und sagt:

"Ein Teil der politischen Elite, die sich um eine Ministerin versammelt hat, von der ich nicht weiß, wie sie heißt, sitzen dieser gegenwärtigen Atmosphäre ohne Überprüfung auf. Das sind keine gefestigten Politiker. Dazu zählt auch eine frühere Botschafterin, die jetzt eine enge Mitarbeiterin dieser Ministerin ist. Diese Botschafterin hat sie erzogen mit lügenhaften Geschichten über die bösen Serben."

Die Folgen regelmäßig wiederkehrender Krisen spürt das ganze Land, dem seine Bürger massenhaft den Rücken kehren, wie Tanja Topic erläutert:

6'33'4 - Auswanderung als größtes Problem - 7'33'6
„Im Jahre 1997 schätze man die Zahl der Bewohner im serbischen Teilstaat auf 1,3 Millionen. Nun schätz man, dass es nicht mehr als 800.000 Einwohner sind. Das sind schreckliche Zahlen; einige Städte in Osten der Serben-Republik sind leer. Die Jungen sind weg; es mag zynisch klingen, wenn man über die Möglichkeit eines Krieges spricht - wer soll ihn führen, die Pensionisten? Denn es gibt nicht mehr die menschlichen Ressourcen, und das ist vielleicht das Glück im Unglück."

Bislang funktionierte in Bosnien und Herzegowina die Homogenisierung der Wählerschaft durch nationalistische Parolen unter dem Banner nationalistischer Parteien. Ob das so bleibt, ist offen. Fest steht, dass der Westen nicht nur Milorad Dodik viel zu lange gewähren ließ und bisher kein brauchbares Mittel gefunden hat, um die politische Agonie in Bosnien und Herzegowina zu überwinden.

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