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20250503 MiJ Interview zur Lage in Bosnien Wehrschütz Mod

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Berichte Bosnien

Im ehemaligen Jugoslawien zählt der Staat Bosnien und Herzegowina zu den absoluten Nachzüglern auf dem Weg Richtung EU. Gespräche über einen Beitritt sind nicht in Sicht, vor allem deshalb, weil die drei Volksgruppen, Bosniaken, Serben und Kroaten in zentralen Fragen keinen gemeinsamen Nenner finden. Die jüngste Krise hervorgerufen hat die Führung der bosnischen Serben unter Milorad Dodik; sie tun alles, um den komplizierten Gesamtstaat zu schwächen; dazu zählt die Missachtung eines Urteils eines bosnischen Gerichts sowie eines Haftbefehls und die Funktion des Hohen Bosnien-Repräsentanten der UNO. Der gesamte Staat ist paralysiert; über die Lage und die Folgen der Krise hat in Banja Luka, der Hauptstadt des serbischen Teilstaates, unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit einer Politologin gesprochen; hier sein Bericht:

Vor knapp 30 Jahren beendete der Friedensvertrag von Dayton in den USA den Krieg in Bosnien und Herzegowina, der etwa eine Millionen Tote und hunderttausende Flüchtlinge mit sich brachte. Doch politisch stabil ist das Land bis heute nicht; dieser Krisenmodus wirkt sich auf die Stimmung in der Bevölkerung aus, erläutert in Banja Luka, die Vertreterin der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung, Tanja Topic:

5'23'5 - Tragisch Angst vor neuem Krieg - 6'07'8
"30 Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton haben wir noch immer diese tragische Lage, dass sich etwa alle drei Jahre ein guter Teil der Bürger fragt, wird es in Bosnien und Herzegowina einen neuen Krieg geben. Diese Frage tauchte auch in der aktuellen Krise sofort auf, und mir sagten einige Bürger, die ich getroffen habe, dass sie auf gepackten Koffern sitzen. Und wegen dieser Angst und wegen dieser Traumata aus dem Krieg, die noch nicht überwunden sind, hat ein Teil der Bevölkerung Bosnien und Herzegowina verlassen."

Und zwar ein beträchtlicher Teil, und zwar aus allen Landesteilen. Die Auswanderung ist wahrlich dramatisch; wie dramatisch beschreibt Tanja Topic am Beispiel der Republika Srpska, die mit der Bosnisch-Kroatischen Föderation den Gesamtstaat bildet:

6'33'4 - Auswanderung als größtes Problem - 7'33'6
„Im Jahre 1997 schätze man die Zahl der Bewohner im serbischen Teilstaat auf 1,3 Millionen. Nun schätz man, dass es nicht mehr als 800.000 Einwohner sind. Das sind schreckliche Zahlen; einige Städte in Osten der Serben-Republik sind leer. Die Jungen sind weg; es mag zynisch klingen, wenn man über die Möglichkeit eines Krieges spricht - wer soll ihn führen, die Pensionisten? Denn es gibt nicht mehr die menschlichen Ressourcen, und das ist vielleicht das Glück im Unglück."

Doch das Problem von Bosnien und Herzegowina besteht nicht nur in der politischen Führung des serbischen Teilstaates. Unzufrieden sind auch viele Kroaten, die sich von den Bosniaken majorisiert fühlen und daher seit langem eine Reform des Wahlrechts fordern. Die Folgen des komplizierten Staatswesens beschreibt Tanja Topic so:

1'32'7 - Dayton System und Blockade und Krise - 2'36'1
"Das gesamte System ermöglicht Blockaden und Erpressungen, die die politischen Akteure gekonnt nutzen; einmal ist das eine Partei der bosnischen Serben, die SNSD, dann wiederum die kroatische HDZ, und hin und wieder auch politische Parteien der Bosniaken.“

Hinzu kommt, dass die Friedenstruppe EUFOR zwar ein wichtiges, aber eben nur ein letztes militärisches Mittel ist, während der Hohe-Bosnien-Repräsentant zwar formell über Sondervollmachten verfügt, sie aber kaum mehr einsetzen kann, weil die dafür nötige Übereinstimmung in der internationalen Gemeinschaft nicht mehr besteht. Einen Ausweg aus der Krise bezeichnet Tanja Topic als die berühmte Million-Dollar-Frage, denn die Antwort lässt weiter auf sich warten.

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