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Die tiefe Krise in Bosnien

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Kleine Zeitung
Berichte Bosnien

In Bosnien und Herzegowina herrscht seit fünf Monaten eine tiefe politische Krise. Ausgelöst hat sie der damalige hohe Repräsentant der UNO, Valentin Inzko. Er stellte zum Abschied die Leugnung von Völkermord unter Strafe. Seit damals proben die bosnischen Serben unter Milorad Dodik den Aufstand, der zu keinem Interview bereit war. Sie blockieren alle politischen Institutionen und drohen nun damit alle gesamtstaatlichen Institutionen und Gesetze auf ihren Teilstaat zu übertragen, die seit dem Friedensvertrag von Dayton vor mehr als 25 Jahren geschaffen wurden. Dieser Vertrag regelte auch höchst kompliziert das Zusammenleben von Bosniaken, Serben und Kroaten, die in zwei Teilstaaten leben, der Bosnisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska, die seit mehr als 10 Jahren von Milorad Dodik geführt wird. Was dieser Boykott aller Institutionen des Gesamtstaates konkret bedeutet, erläutert in Sarajewo der Delegationsleiter der EU, der Österreicher Johannes Sattler so:

"Wir haben eine de facto Blockade der höchsten und wichtigsten Institutionen; wir haben eine Blockade der Präsidentschaft, des Parlaments auch des Ministerrats, und da bewegt sich im Moment sehr wenig. Es haben sich bereits 400 Tagesordnungspunkte des Ministerrates angesammelt, doch es geht nichts weiter. Die Serben haben die Oktroyierung des Gesetzes als Affront empfunden, einerseits weil es immer noch zur Kriegsgeschichte sehr unterschiedliche Auffassung gibt, aber auch, weil eben dieses Gesetzt oktroyiert worden ist; und die bosnischen Serben haben ein sehr kritisches Verhältnis zum Hohen Repräsentanten generell, und dies Kombination aus Faktoren hat eben zu dieser massiven Eskalation geführt."

Auf der Strecke blieb dadurch auch die Reform des Wahlrechtes, um die sich EU und OSZE bemühen; Wahlfälschung ist in Bosnien und Herzegowina an der Tagesordnung, und sie soll durch eine Reform erschwert werden. Die Zeit drängt an sich, denn im Oktober finden im Land allgemeine Wahlen statt. Ihr Herannahen dürfte auch ein Grund für das Verhalten des starken Mannes der bosnischen Serben, Milorad Dodik sein. Die Opposition im serbischen Teilstaat kritisiert dessen Politik als gefährlich und selbstzerstörerisch und boykottierte den Beschluss des Regionalparlaments in Banja Luka. Dodiks Vorgehen bewertet der oppositionelle Abgeordnete, Nebojsa Vukanovic, so:

"Wie alle Populisten macht er das unter dem Deckmantel des Patriotismus. Seit 15 Jahren spricht er über die Unabhängigkeit und verspricht nun die Rückübertragung der Zuständigkeiten, die unser seiner Führung übertragen wurden. Dodiks Interesse ist es, an der Macht zu bleiben und sein korruptes Netzwerk zu erhalten. Denn niemand hat der Republika Srpska so geschadet wir er. Die Auswanderung ist massiv; wir haben die niedrigsten Löhne und Pensionen, die höchste Arbeitslosigkeit und das Gesundheitswesen ist in schrecklichem Zustand.“

Milorad Dodik hat bei den Lokalwahlen die zwei größten Städte des serbischen Teilstaates verloren. Seine Chancen für die Wahlen im Oktonber standen bisher schlecht. Als den Versuch, von der schwierigen Lage durch nationalistische Rhetorik abzulenken wertet auch in Sarajewo die Politologin Ivana Maric Dodiks Vorgangsweise:

"In der Öffentlichkeit wird das Bild geschaffen, dass es um die Unabhängigkeit der Republika Srpska geht. Doch im schlimmsten Fall kann Dodik seinen Teilstaat auf den Rahmen des Friedensvertrags von Dayton zurückführen. Die Möglichkeit einer Abspaltung der Republika Srpska besteht überhaupt nicht. Das weiß auch Dodik, trotzdem stellt er es so dar, als würde sich die Republika Srpska nun von Bosnien abspalten, Serbien anschließen oder als unabhängiger Staat existieren. Hinzu kommt, dass der Teilstaat überhaupt nicht die Verwaltung dazu hat, um all diese Zuständigkeiten wieder zu übernehmen.“

Somit herrscht zwar totaler Stillstand im Land, doch die Gefahr eines Kriegs besteht nach Ansicht gut informierter Militärexperten nicht. Die Streitkräfte zählen 9.400 Mann und sind von allen drei Volksgruppen, Bosniaken, Serben und Kroaten besetzt, wobei es vor allem die Kroaten schwer haben, ausreichendes Personal zu finden. Insgesamt besteht kein militärischer Faktor, der zu einem wirklichen Krieg fähig wäre, wobei nicht zu vergessen ist, dass in Bosnien noch immer 800 Soldaten der Friedenstruppe EUFOR stationiert sind. Sie wird von einem Österreicher geführt und könnte im Falle des Falles rasch verstärkt werden. Bleibt noch die ethnisch geteilte Polizei als möglicher Faktor. Doch Spezialkräfte zählt die Polizei nur wenige hundert Mann, und die Mehrheit stellen Bosniaken und Kroaten; somit scheidet auch dieser Faktor aus. Hinzu kommt die massive Auswanderung durch den Frust über die politische Gesamtlage; „Pensionisten“ führen aber keine Kriege. Hinzu kommt, dass von nationalen Spannungen im Alltagsleben praktisch nichts zu bemerken ist; das bestätigt auch der SDS-Vorsitzende und Sohn des bosniakischen Staatsgründers, Bakir Izetbegovic:

"Gäbe es nicht diese selbstsüchtigen Politiker, dann würden sich die multiethnischen Beziehungen völlig normalisieren. Man kann sagen, dass diese Beziehungen sehr gut sind, berücksichtigt man, was für einen Krieg wir in Bosnien vor einigen Jahrzehnten gehabt haben. Kein Kroate, kein Bosniake und kein Serben haben Probleme, irgendeinen Landesteil zu besuchen. Auf zwischenmenschlicher Ebene gibt es diese Probleme Gott sei Dank nicht mehr, und das ist das Wichtigste. Doch die Politiker heizen diese Ängste absichtlich an, und das bedeutet für Bosnien und Herzegowina einen großen Schaden."

Dieser Befund stimmt seit vielen Jahren und so zählt Bosnien und Herzegowina am Balkan zu den Schlusslichtern auf dem Weg Richtung EU.

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