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Interview mit Valentin Inzko zum Abgang

Fernsehen
Dobar Dan Koroska
Berichte Bosnien

„Sag zum Abschied leise servus“ – war offensichtlich nicht das Motto, das der Österreicher Valentin Inzko für das Ende seiner 12-jährigen Amtszeit als Hoher Repräsentant in Bosnien und Herzegowina gewählt hat. Denn sein Abgang erfolgte mit einem Knalleffekt, weil Inzko - zum ersten Mal seit sechs Jahren - seine Sondervollmachten nutze, um die Leugnung des Völkermordes an bis zu 8.000 Bosniaken in Srebrenica unter Strafe zu stellen. Das sorgte bei den bosnischen Serben für massive Proteste. Ihre Politiker boykottieren nun die Institutionen des komplizierten Staates, der aus zwei Teilstaaten und zehn Kantonen besteht. Außerdem soll das Parlament der bosnischen Serben heute in Banja Luka beschließen, dass die Bezeichnung des serbischen Teilstaates als Ergebnis des Völkermordes ebenfalls mit langjährigen Freiheitsstrafen bedroht wird.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Bosnien und Herzegowina

Insert1: Valentin Inzko, scheidender Hoher Repräsentant in Bosnien

Insert2: Valentin Inzko, scheidender Hoher Repräsentant in Bosnien

Insert3: Valentin Inzko, scheidender Hoher Repräsentant in Bosnien

Insert4: Ivana Maric, Politologin in Sarajewo

Insert5: Ivana Maric, Politologin in Sarajewo

Gesamtlänge:

Das Massaker in Srebenica, das Serben im Sommer 1995 praktisch vor den Augen niederländischer UNO-Soldaten verübten, war der schlimmste aber nicht einzige Massenmord, der in Bosnien geschah. Hauptverantwortlich dafür ist General Ratko Mladic, den das Haager Tribunal auch deswegen vor wenigen Wochen rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilte. Doch das erste Urteil wegen Völkermordes in Srebrenica sprach das Tribunal bereits vor 20 Jahren, und ein generelles Verbot der Leugnung des Genozids wäre rechtlich sicher viel früher möglich gewesen. Warum wartete Valentin Inzko also 12 Jahre, bis er in Bosnien diese Leugnung unter Strafe stellte?

1'01'4 - Inzko zu Mladic - 1'18'4

Zu den Leugnern zählt Milorad Dodik, der starke Mann der bosnischen Serben. Dodik spielt immer wieder die nationalistische Karte; auch Valentin Inzko zählt zu den Feindbildern der Serben, die nun alle staatlichen Institutionen boykottieren:

1'54'1 - Folgen des Beschlusses - 2'13'9

Das sehen die bosnischen Serben und ihre Politiker aber nicht so. In Banja Luka, der Regionalhauptstadt des serbischen Teilstaates, beschloss die politische Führung sofort Gegenmaßnahmen und zwar eine Änderung des regionalen Strafgesetzbuches. Für die Behauptung, die Republika Srpska sei das Ergebnis eines Völkermordes im Kriege, drohen nun bis zu 15 Jahre Haft. Ist die staatliche Existenz von Bosnien und Herzegowina heute bedrohter als vor 12 Jahren, als zu Beginn des Amtsantritts von Valentin Inzko?

6'55 - Krise in Bosnien - 7'33'8

Der Sommer ist die Zeit, in der viele Bosniaken aus aller Herren Länder auf Urlaub nach Sarajewo kommen. Das zeigte ein Besuch mit Valentin Inzko in einem Restaurant im Stadtzentrum. Von den USA bis hin zur Schweiz reichte die geographische Bandbreite der Bosniaken, die sich mit dem Österreicher fotografieren wollten. Kritischer sehen seinen Beschluss bosniakische Politologen:

1'32'2 - Folgen von Inzko - 1'55'8

„Alle realen Probleme wurden nun beiseitegeschoben, die COVID-Impfungen, das Gesundheitswesen, Wirtschaft und Korruption, all das wurde nun vergessen, und neuerlich wurde die Bevölkerung gespalten, bis hin zur Frage der Abspaltung des serbischen Teilstaates; völlig unnötig wurden Spannungen geschürt."

Doch wir die politisch beeinflusste Justiz Inzkos Gesetz überhaupt anwenden?

3'34'3 - Gerichte und Strafrecht - 5'32'4

"Bei uns muss sich ein Politiker auch für viel schwerere Verbrechen nicht verantworten, wie etwa für Korruption. Und jetzt sollen wir erwarten, dass sich jemand verantworten muss, weil er Völkermord leugnet? Das hat Milorad Dodik sofort getan als Inzko den Beschuss gefasst hat. Da wird es so viele Fälle geben, dass man sich fragen muss, ob die Gerichte dafür überhaupt die Kapazitäten haben. Nun muss sogar die serbische-bosnische Opposition Dodik widerwillig aber doch unterstützen. Somit nutzt Inzkos Beschluss nur Milorad Dodik und den nationalistischen Parteien der Bosniaken, die dadurch stärker werden.“

Inzkos Nachfolger ist nun der deutsche Christian Schmid; die Amtsübergabe fand Anfang der Woche in Sarajewo statt. Die Erblast, die Inzko nun hinterlässt, wiegt schwer. Das Glätten der Wogen wird nicht leicht sein, ist aber unumgänglich, denn Bosnien ist derzeit das Schlusslicht auf dem Weg Richtung EU am Balkan.

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