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Die neue Balkanroute

Zeitung
Kronen Zeitung
Berichte Bosnien

„Die aktuelle Lage entlang der Balkan-Route erinnert mich an das Frühjahr 2015.“ – So beschreibt ein hochrangiger Polizeioffizier eines Balkan-Landes seine Eindrücke über die steigenden Migrationszahlen, deren Ausgangspunkt neuerlich die EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland bildet. Massiv betroffen sind wieder die griechischen Inseln; zu Wochenbeginn waren dort nach Angaben der Behörden fast 17.000 Migranten und Flüchtlinge registriert, wobei einige Inseln massiv überbelegt sind. Der Transport auf das griechische Festland ist nur eine Frage der Zeit, auch weil der Europäische Gerichtshof erkannt hat, dass ein Festhalten auf den Inseln den Menschenrechten widerspricht; dieses Erkenntnis schlägt sich mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei, das eine Rückführung nur von Personen vorsieht, die sich auf den Inseln aufhalten; hinzu kommt die Frage nach der Wirksamkeit dieser Vereinbarung, denn zwischen 2016 und 2018 wurden nur 1.630 Personen zurückgeführt, davon entfielen auf das heurige Jahr bisher 150 Personen.

17.000 auf den Inseln und bis zu 40.000 Migranten und Flüchtlinge auf dem griechischen Festland machen deutlich, warum die Zahlen auch am Balkan deutlich ansteigen, nur dass bisher vor allem Länder einer Nebenroute betroffen sind, weil die „klassische“ Route über Mazedonien stark kontrolliert wird Diese Nebenroute führt von Griechenland über Albanien und Montenegro weiter nach Bosnien und Herzegowina. So registrierte Albanien in den ersten fünf Monaten dieses Jahres mehr als 2.300 Migranten, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 162, im gesamten Jahr 2017 waren es eintausend. Bosnien registrierte bis Anfang Juni mehr als 5.600 Personen, im Vorjahr waren es 750.

Sowohl Albanien als auch Bosnien und Herzegowina sind auf diese Entwicklung nicht vorbereitet, weder was Aufnahmekapazitäten und Versorgung noch was die Zahl der Polizisten und deren technische Ausstattung betrifft. Ein Beispiel dafür bietet die 40.000 Einwohner zählende Velika Kladusa ganz im Nordwesten von Bosnien im Grenzgebiet zu Kroatien. Auf einer Wiese am Stadtrand an einem Bach steht ein kleines Lager mit Zelten, das zum Zeitpunkt des Lokalaugenscheins etwa 70 Personen beherbergte; Iraker und Kurden aus dem Irak, Syrer, Pakistani und Iraner campierten hier, „bewacht“ von zwei jungen Bosniaken aus der Stadt. Unterstützt werden diese Migranten praktisch nur von Einheimischen, die in Schulen Kleidung sammelten aber auch Lebensmittel und Medikamente vorbeibrachten. Nach Angaben einer Helferin besteht das Lager nun seit etwas mehr als einem Monat, doch eine Hilfe durch die Gemeinde oder gar den Staat gebe es nicht.

Velika Kladusa liegt nur etwas mehr als 100 Kilometer von der kroatischen Hauptstadt Agram entfernt, die Hälfte der Strecke ist Autobahn. Die große Mehrheit der Migranten nutzt die grüne Grenze, entweder mit Schleppern oder die Orientierung erfolgt mit Hilfe des Mobiltelefons. Dieser Abschnitt der bosnisch-kroatischen Grenze begünstigt den illegalen Übertritt. Die Wälder sind nicht so dicht, die Hügel nicht so hoch, um schwer passierbar zu sein. Dieser Umstand gilt etwa für die Hälfte der bosnisch-kroatischen Grenze, die etwa 930 Kilometer lang ist. Kroatien verzeichnete in den ersten vier Monaten eine Zunahme an Migranten um 60 Prozent, nach Angaben der Grenzpolizei wurden vor allem jüngere Männer registriert.

Zunehmend werden nun auch Staatsbürger aus dem Iran und der Türkei aufgegriffen; für türkische Staatsbürger gilt Visafreiheit nach Bosnien für den Iran hat Serbien Visafreiheit eingeführt, ein Umstand der auch dazu genutzt wird, von Teheran nach Belgrad zu fliegen und dann gegen Norden weiterzureisen. Vor der Visafreiheit mit dem Iran hat Slowenien die EU-Kommission bereits gewarnt, spürbare Reaktionen blieben bisher aus. Slowenien, das erste Mitglied der Schengen-Zone der EU, zählt zu den kleinsten Ländern entlang der Balkan-Route; auch daher fordert Laibach, dass der Schutz bereits an der EU-Außengrenze verstärkt werden müsse. Diese Warnungen werden mit Zahlen untermauert; wurden im November noch 15 bis 20 Aufgriffe pro Tag verzeichnet, so sind es nun bereits 50 Personen; das jüngste Beispiel stammt vom vergangenen Wochenende als beim Übergang Metlika 120 Migranten aufgegriffen wurden, mehrheitlich Afghanen und Pakistani.

Anfang Juni trafen sich führende Polizeioffiziere der Balkan-Staaten und Österreichs im slowenischen Brdo und vereinbarten Maßnahmen, die dann beim Treffen der Innenminister in Sarajewo politisch abgesegnet wurden. Dazu zählt die massive Einbindung des Westbalkan in den Informationsfluss der EU, um rascher auf Lageänderungen entlang der Route reagieren zu können, denn bisher dauert die Kommunikation zwischen den Polizeibehörden einige Tage, die Absprache der Schlepper erfolgt binnen Stunden. Aufgebaut werden sollen in den Ländern des Westbalkan biometrische Datenbanken, die wiederum mit der EU vernetzt werden, um die Identifizierung von Migranten zu erleichtern, die oft mehrfach entlang der Balkan-Route Asylanträge stellen, um Zeit für die Weiterreise zu gewinnen.

So effizient der Schutz der EU-Außengrenze und der Grenzen an der Balkan-Route auch werden mag - trotzdem bleibt die Arbeit der Polizei eine Bekämpfung der Symptome. Nach Ansicht von Polizeioffizieren erfordert eine wirksame Bekämpfung der Migration ein Bündel von Maßnahmen: eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung Nordafrikas (Libyen), eine Änderung der Genfer Flüchtlingskonvention, die nicht für eine Massenmigration geschaffen worden sei, sowie die Trennung von Asyl und Sozialleistungen; so entspricht eine Mindestsicherung von 850 Euro in etwa dem Durchschnittslohn in Kroatien, was klar macht, warum kein Migrant in diesem beliebten Urlaubsland der Österreicher bleiben will. Doch die Polizei macht keine Politik; sie fehlt bisher auf europäischer Ebene, obwohl Klarheit und Entschlossenheit spätestens nach dem Jahre 2015 ein Gebot der Stunde gewesen wäre. Finanzielle und technische Hilfe für die Balkan-Staaten durch die EU ist jedenfalls zu wenig.

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