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Interview mit Milorad Dodik zur Lage in Bosnien und zur Rolle Russlands am Balkan

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Berichte Bosnien
Fast 20 Jahre sind seit dem letzten Krieg im ehemaligen Jugoslawien vergangen, doch eine dauerhafte Stabilisierung der Region unter Führung von EU und NATO wurde noch immer nicht erreicht. Dieser ernüchternde Befund gilt am stärksten für Bosnien und Herzegowina, ein Jugoslawien im Kleinformat, in dem muslimische Bosniaken, Serben und Kroaten noch immer zu keiner gemeinsamen staatlichen Identität gefunden haben, obwohl die wirtschaftliche Lage nicht einmal so schlecht ist. Politisch unzufrieden sind alle drei Völker, doch ihre Vorstellungen von der Zukunft weichen stark voneinander ab. Während die Bosniaken den Gesamtstaat stärken wollen, fürchten Kroaten und Serben deren Dominanz, wobei der serbische Teilstaat unter Präsident Milorad Dodik immer wieder einer Abspaltung das Wort redet. Dodik zählt zum Feindbild von EU und USA, hat aber gute Verbindungen nach Russland und zu Präsident Wladimir Putin; gestern sprach er in Wien vor der Österreichisch-Russischen-Freundschaftsgesellschaft über die Rolle Russlands am Balkan; dazu und zur Lage in Bosnien hat ihn unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz interviewt; hier sein Bericht:

Russlands spürbare Rückkehr auf den Balkan begann vor mehr als zehn Jahren mit dem klaren „Njet“ im UNO-Sicherheitsrat zur Unabhängigkeit des Kosovo. Seitdem ist Moskau bestrebt, seine Präsenz zu stärken. Die größten Erfolge verzeichnet Russland dabei in Serbien und in Bosnien und Herzegowina; beide Länder beteiligen sich nicht an den EU-Sanktionen und streben auch keine NATO-Mitgliedschaft an; in Bosnien scheiterte beides am Widerstand der bosnischen Serben, deren Teilstaat, die Republika Srpska, seit Jahren Milorad Dodik als Präsident dominiert. Die Rolle Russlands auf dem Balkan bewertet Milorad Dodik so:  

"Dominant ist der politische Einfluss des Westens wie der USA und der EU. Russland ist vor allem wirtschaftlich präsent; es hat etwa die Raffinerie in der Republika Srpska gekauft. Was die Serben betrifft, so besteht eine gefühlsmäßige Verbundenheit mit den Russen; gleichzeitig müssen wir unsere nationale Interessen vertreten; dazu zählt, dass die offizielle Politik Serbiens und der Republika Srpska im Weg Richtung EU besteht; dagegen hat Russland nichts, wohl aber gegen die Erweiterung der NATO auf dem Balkan."

Doch eine klare zeitliche Perspektive für einen EU-Beitritt gibt es nicht; mit Bosnien haben Verhandlungen noch nicht einmal begonnen und der derzeitige Vorreiter der Region, Montenegro, rechnet mit einem Abschluss der Beitrittsgespräche nicht vor fünf Jahren. Dazu sagt Milorad Dodik:  

„Vor zehn Jahren war die Idee der EU ein attraktives Angebot; heute ist es das nicht; das gilt sogar für viele EU-Bürger. Vieles geschah, vor allem Brexit, die Migrationskrise, die die EU nicht lösen und in der die EU auch keine Einheit finden kann. Daher ist es real, dass auch unsere Begeisterung deutlich nachgelassen hat. Bis wir an die EU herangekommen sind, wird die EU wohl völlig anders aussehen.

Keine Zukunft sieht Milorad Dodik für Bosnien und Herzegowina in seiner bestehenden Form:

"Die Spaltungen sind stark, und es ist eine Illusion zu glauben, dass dieses Land auf der Basis ständiger westlicher Interventionen bestehen bleiben kann. Wichtig ist, dass Frieden herrscht, doch eine Garantie dafür gibt es nicht, weil die Islamisierung immer stärker wird, und das verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Ich denke, dass Bosnien und Herzegowina nur bestehen kann als gemeinsames Territorium, als Gemeinschaft von Staaten, wobei es möglich wäre, dass man sich auf ein zwei Funktionen zur Vertretung nach Außen einigt.“

In Belgrad bekannte sich Dodik jüngst zu einer Vereinigung mit Serbien. Derzeit ist diese Idee irreal; doch die Zukunft ist offen, und Grenzen haben sich in Europa in den vergangenen einhundert Jahren immer wieder verändert.
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