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Bosnien zwischen Vergangenheit und EU

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Der Prozessbeginn gegen den früheren bosnischen Serben-Führer Radovan Karadzic war trotz Direktübertragung durch die Fernsehsender in Bosnien und Herzegowina kein Straßenfeger. Dazu beigetragen hat vielleicht die Abwesenheit des Angeklagten. Karadzic boykottiert den Prozess, weil er seiner Ansicht nach nicht genügend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung gehabt hat. Karadzic, der jahrelang als Wunderheiler Dr. Dabic in Serbien unerkannt lebte, wird gemeinsam mit dem flüchten General Ratko Mladic für das Massaker an 8.000 Bosnjaken in Srebrenica verantwortlich gemacht. Die Einstellung zu Karadzic trennt natürlich Bosnjaken und Serben; daran ändert der Prozessbeginn nichts, und erst bei der Einvernahme interessanter Zeugen oder beim Kreuzverhör dürfte das Interesse im Land selbst steigen.

Stärker wahrgenommen wurde jedoch die vorzeitige Freilassung von Biljana Plavsic, Karadzics Nachfolgerin im Amt des Präsidenten des serbischen Teilstaates in Bosnien. Die 79-jährige Plavsic hat das Haager Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 11 Jahren Haft verurteilt, die sie in einem Gefängnis in Schweden verbüßte. Nach acht Jahren wird Plavsic nun freigelassen, eine Entscheidung die vor allem Politiker der Bosnjaken als Ohrfeige für die Opfer des Krieges und der Verbrechen interpretierten.

Trotzdem dürften die Fälle Karadzic und Plavsic keine neuen Teilungen in Bosnien und Herzegowina hervorrufen, denn die Teilungen sind ohnehin bereits tief genug. So hat Mostar, die Provinzhauptstadt der Herzegowina, seit mehr als einem Jahr keinen Bürgermeister, weil sich Kroaten und Bosnjaken im Gemeinderat nicht einigen können. Im Gegensatz zu Serben Banja Luka) und Bosnjaken (Sarajewo) verfügen die Kroaten über keine eigene „Hauptstadt“. Als Ersatz dient ihnen Mostar; dass ein Bosnjake Bürgermeister werden könnte, ist daher für viele Kroaten undenkbar. Ihre Volksgruppe ist demografisch auch von den Folgen des Krieges am stärksten getroffen. Von einst 800.000 Kroaten sollen nur mehr 400.000 im Land sein. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil offiziell noch immer die bisher letzte Volkszählung aus dem Jahre 1991 herangezogen wird. Angesichts von Krieg, Vertreibung und Binnenmigration sind diese Daten weitgehend irrelevant, doch die drei Volksgruppen konnten sich bisher auf keine Volkszählung einigen. Geplant ist sie für 2011, doch noch immer wird über den Inhalt des Fragebogens gestritten. Vor allem die Bosnjaken fürchten um ihren Einfluss im serbischen Teilstaat. Vor dem Krieg lebten in der Republika Srpska 48 Prozent Bosnjaken und Kroaten, nun sollen es nur mehr 8 Prozent sein – nicht zuletzt weil die Rückkehr erfolgreich behindert wurde.

Zu den großen Folgeproblemen des Krieges zählt auch der unter westlicher Federführung geschaffene komplizierte Staatsaufbau, der im Friedensvertrag von Dayton verankert wurde. Neben einem schwachen Gesamtstaat bestehen zwei Teilstaaten, Entitäten genannt. Es sind dies die zentralistisch aufgebaute Republika Srpska und die bosnisch-kroatische Föderation, die noch aus zehn Kantonen besteht. Hinzu kommen der Sonderdistrikt Brcko, der mittlerweise in die Verfassungsordnung eingegliedert wurde, und der internationale Bosnien-Beauftragte. Er wacht über Umsetzung und Einhaltung des Friedensvertrages von Dayton und ist mit Sondervollmachten ausgestattet. Diese sogenannten „Bonn Powers“ und der Beauftragte selbst werden jedoch immer mehr zum Papiertiger, weil die EU immer weniger hinter deren kompromissloser Anwendung steht. Außerdem desavouierten EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn und Schwedens Außenminister Carl Bildt den amtierenden Bosnien-Beauftragten, den Österreicher Valentin Inzko, jüngst beim Versuch, in Sarajewo eine Verfassungsreform zu erzwingen. Inzko war in die Gespräche mit acht Politikern der drei Volksgruppen kaum eingebunden, und seinen Anordnungen widersetzt sich Milorad Dodik, der Regierungschef des serbischen Teilstaates, immer offener. Was Dodik von Bosnien hält, zeigte jüngst die Eröffnung einer Grundschule in Pale, dem Wohnort von Radovan Karadzic, durch Serbiens Präsident Boris Tadic. Die Schule heißt bezeichnenderweise „Serbien“. Nun will die EU Druck auf Belgrad ausüben, um die bosnischen Serben kompromissbereiter zu machen.

Die von EU und USA vorgeschlagene Verfassungsreform scheiterte jedenfalls vorläufig am Widerstand aller drei Volksgruppen. Serben und Kroaten fürchten die Majorisierung durch die Bosnjaken, denen die Reform nicht weit genug geht. Nicht ein Mal einen Minister für Landwirtschaft gibt es bisher auf der Ebene des Gesamtstaates, obwohl 50 Prozent des EU-Rechtsbestandes die Landwirtschaft ausmacht. Daher liegt die EU-Annäherung vorläufig auf Eis; viel Zeit zur „Enteisung“ bleibt nicht mehr; im Herbst nächsten Jahres wird in Bosnien das Parlament neu gewählt, und daher bleiben für die Verfassungsreform nur mehr wenige Monate, eher der Wahlkampf jede größere Reform zum Erliegen bringen wird.

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