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Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina:

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Wiener Zeitung
Berichte Bosnien
Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina:

Nationalistische Töne statt politischen Fortschritts

Mit vier Millionen Einwohnern und 51.000 Quadratkilometern ist Bosnien-Herzegowina (BiH) etwa halb so groß wie Österreich. Ebenso wie in Österreich finden am 1. Oktober auch in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Parlamentswahlen statt. Während in Österreich nur der Nationalrat gewählt wird, sieht die Lage in BiH anders aus; gewählt werden: die drei Mitglieder des Staatspräsidiums, das gesamtstaatliche Parlament, die zwei Parlamente und die Präsidenten der zwei Teilstaaten - der Bosnjakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska (RS) – und in der Föderation auch noch die zehn Parlamente der Kantone. Um alle diese Sitze ringen mehr als 7.200 Kandidaten, 36 Parteien, acht Wahlbündnisse und 12 unabhängige Bewerber. Die Ansammlung dieser hypertropher Institutionen, die am Sonntag gewählt werden, hat auch die internationale Staatengemeinschaft mitverschuldet, denn geschaffen wurden diese Institutionen mit dem Friedensvertrag von Dayton, der 1995 einen dreijährigen Bürgerkrieg beendete. Seit dem haben weder die „Internationalen“ noch Bosnjaken, Serben und Kroaten als die drei „konstitutiven Völker“ einen Ausweg aus diesem bürokratischen Dschungel gefunden, in dem sich vor allem nationalistische Parteien mit vorwiegend westlichem Geld jahrelang recht bequem eingerichtet haben.

Ebenfalls nicht neu ist auch das zweite Problem, das beim Wahlkampf in BiH wieder zu beobachten war. Es besteht darin, dass in Wahrheit die Parteien der drei Völker nicht um die Stimmen der insgesamt 2,7 Millionen Wahlberechtigten ringen. Denn die Wahlen sind vielmehr eine Art ethnische Volkszählung; daher sind die meisten Parteien darum bemüht, durch das Wecken von Ängsten und Leidenschaften eine ethnische Homogenisierung zu erreichen, und damit Parteien zu schwächen, die eher bürgerlich orientiert sind. Nationalistische Töne dominierten daher auch dieses Mal, vor allem zwischen Bosnjaken und Serben, denn im kroatischen Landesteil ist die einst mächtige HDZ in mehrere Kleinparteien zerfallen. Die Extreme, zwischen denen sich somit der Wahlkampf zwischen Sarajevo (Bosnjaken) und Banja Luka (RS) bewegte, verkörpern der ehemalige bosnische Außenminister Haris Silajdzic und das einstige serbische Liebkind des Westens Milorad Dodik, der derzeit Regierungschef der RS ist. Silajdzic kämpft in der Föderation mit Unterstützung des Reis-Ul-Ulema Mustafa Ceric gegen Sulejman Tihic um den bosnischen Sitz im Staatspräsidium. Wer die besseren Chancen hat, lässt sich aus Umfragen nicht ermitteln, denn deren Seriosität ist äußerst zweifelhaft. Sicher ist jedoch, dass Silajdzic das klarste und radikalste Programm für eine Staatsreform hat. Er will die beiden Teilstaaten abschaffen, um BiH zu einem funktionsfähigen Staat zu machen, in dem dann die Bosnjaken als größte Volksgruppe dominieren würden. Abgesehen hat es Silajdzic vor allem auf die RS, die er als Entität bezeichnet, die auf „Kriegsverbrechen, Völkermord und ethnischer Säuberung“ aufgebaut sei; diese Kritik stärkt nicht gerade den staatliche Zusammenhalt und verschweigt auch, dass in der Föderation die politischen Institutionen weit komplizierter und damit auch teurer sind als in der RS.

Am anderen Ende des Spektrums steht der serbische Politiker Milorad Dodik mit seiner Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD). Dodik brachte nach der Loslösung Montenegros von Serbien auch für die RS die Möglichkeit eines Referendums ins Spiel, das von den Bosnjaken und der internationalen Gemeinschaft klar abgelehnt wurde. Unterstützt wird Dodik als Ministerpräsident der RS auch von Serbien. So besuchte die serbische Führung gestern Banja Luka und unterzeichnete demonstrativ einen Vertrag über Sonderbeziehungen, der vor allem die Wirtschaftskontakte stärken soll. Ein derartiger Vertrag wurde bereits 2001 unterschrieben, ohne dass dadurch BIH zerfallen wäre. Trotzdem dürfte diese Hilfe aus Belgrad die Wähler in der RS beeindrucken und Dodiks Partei könnte am Sonntag die Vorherrschaft der SDS brechen, die einst Radovan Karadjic gegründet hat.

Obwohl das nationalistische Getöse auch Wahlkampfrhetorik sein mag, bleibt der Umstand bestehen, dass Bosnjaken, Serben und Kroaten bisher kein gemeinsames Staatsbewußtsein entwickelt haben. Die Kluft zwischen den drei Völkern, die zusammenleben müssen, ist nach wie vor tief, die Reform der Verfassung und der Polizei sind gescheitert und die EU-Annäherung verläuft im Kriechgang. Korruption, Ineffizienz der Verwaltung, hohe Arbeitslosigkeit gemildert durch Schattenwirtschaft sowie eine massive Frustration in der Bevölkerung prägen das Bild. Ob unter diesen Voraussetzungen und nach diesem Wahlkampf im Frühsommer dass Amt des Hohen EU-Repräsentanten tatsächlich abgeschafft werden kann, ist zweifelhaft. Unzweifelhaft ist jedoch, dass BiH auch mehr als 11 Jahre nach Kriegsende eher einem gescheiterten Gebilde, denn einem Staat gleicht, der eine glaubhafte EU-Perspektive vor sich hat.

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