× Logo Mobil

Bosnien als die Kunst des (Un-)Möglichen Wolfgang Petrisch gibt sein Amt als Hoher Repräsentant ab

Zeitung
Berichte Bosnien
Aus Bosnien kamen jüngst für Unternehmer eine gute und eine schlechte Nach-richt zur gleichen Zeit. So teile VW mit, daß mit erstem Juli die Produktion des Golf in der bosnisch-kroatischen Föderation wieder aufgenommen wird. Gleich-zeitig gab das Oberste Gericht dieses Teilstaates bekannt, daß beim Gerichtshof 9.500 Verfahren anhängig sind, deren Erledigung mindestens fünf Jahre dauern wird. Rechtsunsicherheit und das problematische Justizwesen, Korruption und Bürokratie sowie politische Einflußnahme und der nach wie vor fehlende Bin-nenmarkt zählen noch immer zu jenen Faktoren, die abschreckend auf auslän-dische Investoren wirken.

Vor allem der Umstand, daß sechs Jahre nach Kriegsende die bosnisch-kroati-sche Förderation und der serbische Teilstaat (RS) noch über kein einheitliches Steuersystem verfügen zeigt, welche katastrophalen Fehler der Westen in Bos-nien im Friedensabkommen von Dayton begangen hat. Denn trotz nunmehr ver-stärkter Bemühungen auch in Bosnien, liegen die beiden Teilstaaten auch wirt-schaftlichen noch weit auseinander. So lag der offizielle Durchschnittslohn in der Föderation im Jahre 2001 bei 235 und in der RS bei 160 Euro. Die Infla-tionsrate lag in der Föderation bei 1,5 und in der RS bei 5,6 Prozent. Die In-dustrieproduktion erreichte im bosnisch-kroatischen Teilstaat 43 Prozent des Vorkriegsniveaus, im serbischen Teil sank sie dagegen sogar um 9 Prozent.

Zu den schwersten Fehlern des Westens zählt in Bosnien daher, die Bedeutung der Wirtschaft nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Sechs Jahre nach Kriegsende und nachdem mindestens sechs Milliarden Dollar ins Land geflossen sind, verfügt Bosnien über keine Autobahnen, ist nun erst damit begonnen worden, das Eisenbahnnetz zu erneuern. Trotzdem gibt es auch positive, wirtschaftliche Faktoren. Die Bankengesetzgebung ist modern, ausländische Betriebe können nun auch vor bosnischen Gerichten Prozesse gewinnen, die illegale Einfuhr von Waren konnte beträchtlich gesenkt werden, die kleine Privatisierung ist abge-schlossen und die große schreitet ebenso langsam voran wie die gesamten Re-formen, die nun aber in die richtige Richtung gehen.

Die Leistungen und/oder Fehler des Österreichers Wolfgang Petritsch unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen ist nur möglich, wenn man die Ausgangs-lage berücksichtigt, unter der Petritsch vor etwa drei Jahren sein Amt als Hoher Repräsentant in Bosnien antrat. Der Kosovo-Krieg war gerade vorbei; in Jugo-slawien hatte Slobodan Milosevic angeschlagen aber doch die NATO-Angriffe politisch überstanden. In Kroatien lebte noch Franjo Tudjman. Der Gründer des kroatischen Staates hatte sich mit Milosevic de facto über die Teilung Bosniens geeinigt; doch der Plan scheiterte auch am Widerstand des Westens. Trotzdem waren durch Milosevic und Tudjman die zentrifugalen Kräfte noch sehr stark. Die Kroaten in der Hercegowina blickten nach Agram, die Serben in der Repu-blika Srpska nach Belgrad und nur die Bosniaken blickten nach Sarajevo. Doch der Gesamtstaat war äußerst kompetenzarm und bestand nur aus drei Ministern, wobei Bosnien und Hercegowina ein extrem kompliziertes Staatsgebilde war und noch immer ist. Der Staat besteht aus zwei Entitäten (Teilstaaten), wobei die bosnisch-kroatische Föderation noch in zehn Kantone unterteilt ist, und der Staat noch aus drei konstitutiven (staatsbildenden) Völkern, den Bosniaken, den Ser-ben und den Kroaten besteht. Regiert wurde der Staat noch von den drei nationa-listischen Parteien, die kein Interesse an Veränderungen hatten, solange der Westen kräftig zahlte.

Petritschs zwei Amtsvorgänger hatten im Grunde wenig getan, um diesen Zu-stand zu ändern. Das zeigt folgende Zahl: Ende 1999 nütze Petritsch seine Voll-machten und setzte 22 führende Politiker und Funktionäre ab, die die Rückkehr der Flüchtlinge massiv blockiert hatten. Damit entließ Petritsch an einem Tag mehr Politiker aus dem Amt als seine beiden Vorgänger insgesamt in den ver-gangenen Jahren zusammengenommen. Bis 1999 waren in die RS nur 10.000 Bosniaken und Kroaten zurückgekehrt; nunmehr sind es immerhin 37.000. Zwar sind damit in den serbischen Teil bisher nur knapp fünf Prozent aller Flüchtlinge und Binnenvertriebene zurückgekehrt, doch bewegt sich nun auch auf diesem Sektor einiges in Bosnien. Da Petritsch den Friedensvertrag von Dayton nicht ändern konnte, versuchte er, den Gesamtstaat, an den bis dahin kaum jemand glaubte, zu stärken. Die Regierung besteht nun aus sechs Ministern, es besteht ein Gerichtshof auf gesamtstaatlicher Ebene und nun existiert sogar eine landes-weite, ethnisch gemischte öffentlich-rechtliche Fernsehstation. Petritsch schuf einen staatlichen Gernzschutz und erreichte, daß illegale Einfuhren von Waren ebenso zurückgingen wie das unkontrollierte Einsickern von Ausländern. Wie wichtig diese Maßnahme sein sollte, zeigt sich nach den Anschlägen in New York am 11. September als bekannt wurde, daß islamische Gruppen auch in Bosnien ein Netzwerk aufgebaut hatten.

Durchzusetzen vermochte Petritsch auch das Erkenntnis des Verfassungsge-richtshofes über die Konstitutivität der drei Völker in allen Teilstaaten Bosniens. Das heißt das Serben in bosnisch-kroatischen Teilstaat und Kroaten und Bosnia-ken in der Republika Srpska in allen Institutionen über eine Mindestvertretung verfügen müssen und auch alle Dokumente in allen drei Sprachen kundgemacht werden müssen. Gerade letzter Punkt zeigt den Pferdefuß der Erfolge des Öster-reichers. Denn im Grunde sind Bosnisch, Serbisch und Kroatisch eine Sprache, obwohl das kein offizieller Vertreter der drei Volksgruppen offiziell zugeben wird. In der Rechtssprache führte diese „Dreisprachigkeit“ zur Herausbildung getrennter Begriffe, die die Schaffung eines einheitlichen Rechtsraumes auch nicht erleichtern. Petritsch und vor allem Bosnien bezahlten die Stärkung des Gesamtstaates damit, daß das insgesamt komplizierte Gebilde nun noch kom-plizierter wurde: Eine Reform Bosniens und damit eine Änderung des Dayton-Vertrages sind notwendig; politisch ist das jedoch bisher weder in Bosnien noch auf internationaler Ebene konsensfähig. Mit der Absetzung des kroatischen Na-tionalistenführers Ante Jelavic gelang es Wolfgang Petritsch auch, dem kroati-schen Separatismus das Genick zu brechen. Trotzdem bleibt die nicht von der Hand zu weisende Tatsache bestehen, daß die Kroaten als kleinstes Volk von Dayton benachteiligt wurden und nicht ganz zu Unrecht befürchten müssen, weiter an Einfluß zu verlieren.

Daß es Wolfgang Petritsch im Grunde gelang, die Voraussetzungen für das Überleben eines Staates zu schaffen liegt nicht nur an seiner Politik, sondern auch an den politischen Änderungen, die in seine Amtszeit fielen. In Kroatien starb Franjo Tudjman und die neue Führung erkannte Bosnien ebenso an wie Serbien nach dem Sturz von Slobodan Milosevic. In Bosnien selbst gelangte nach den Wahlen im Jahre 2000 eine reformorientierte Allianz an die Macht, die die Koalition der Nationalisten ablöste. Am fünften Oktober wird in Bosnien wieder gewählt, dieses Mal jedoch für eine dreijährige Amtszeit. Diese Wahlen werden ebenso wichtig für Bosnien sein, wie es der fünfte Oktober für Serbien mit dem Fall von Milosevic war. Können sich die Reformkräfte halten, hat Bosnien und Hercegowina vielleicht wirklich eine Chance, zu einem Staat zu werden, der eine europäische Perspektive hat. Tritt dieser Fall ein, so wird auch der Österreicher Wolfgang Petritsch seinen Anteil daran gehabt haben.
Facebook Facebook