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Das Beispiel Derventa

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Berichte Bosnien
„Wenn ein Serbe und ein Kroate in Bosnien ein Bier trinken, zahlt der Bosniake die Rechnung.“ So lautet eine Redensart in Bosnien, die nach wie vor weitgehend stimmt. Denn fünf Jahre nach dem Friedensschluß von Dayton ist Bosnien von einem selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung oder von umfassender Flüchtlingsrückkehr weit entfernt. Ein gutes Beispiel für die enormen Probleme des Landes bildet die Gemeinde Derventa in der Republika Srpska, im Grenzgebiet zu Kroatien. Die Region zählte zu den Gebieten Bosniens, in dem einander Serben und Kroaten tatsächlich bekämpft haben.

Das Ergebnis des Krieges kann sich in Derventa tatsächlich „sehen lassen“ Von den 570 Quadratkilometern des Gemeinde-gebietes wurden etwa 200 zerstört. 70 Prozent aller Gebäude wurden beschädigt. Diese Verwüstungen sind nach wie vor deut-lich sichtbar und geben eine gute Vorstellung davon, wie Österreich und Deutschland nach dem 30-jährigen Krieg wohl ausgesehen haben mögen. Häuserruinen prägen das Bild vor allem in den Dörfern der Gemeinde, wo einzelne Landstriche einen ver-ödeten Eindruck machen. Vor dem Krieg lebten in der Gemeinde Derventa 57.000 Einwohner; 42 Prozent Serben, 38 Prozent Kroaten und 16 Prozent Bosniaken. Nun zählt die Gemeinde 39.000 Einwohner; 90 Prozent von ihnen Serben. Die Rückgabe des Eigentums an Flüchtlinge und Vertriebene wurde in Derventa zu 9 Prozent umgesetzt; in der Republika Srpska zu 13 Prozent und in ganz Bosnien zu durchschnittlich etwa 20 Prozent. Im ganzen Land warten noch etwa 500.000 Personen auf die Rückkehr in ihre angestammten Häuser.

Daß die Heimkehr nach Derventa schleppende verläuft, liegt aber weniger an nationalen Vorbehalten, sondern viel mehr an der katastrophalen Wirtschaftslage, die durch Gastarbeiter und Schattenwirtschaft nicht ausreichend gemildert werden kann. Vor dem Krieg verfügte Derventa über eine blühende Exportindu-strie. Die Schuhfabrik beschäftigte 3.000 Bürger, derzeit sind es 600. Die Sozialstruktur der Stadt zeigt, wie schwierig die Lage ist: insgesamt haben 5.000 Bewohner einen Arbeitsplatz, 3.600 Arbeitslose sind registriert, 3.500 Pensionisten und 7.000 Flüchtlinge oder Vertriebene. Viele Bürger haben über-haupt kein reguläres Einkommen. Das Budget von Derventa be-trägt 24 Millionen Schilling. Noch trostloser als in der Stadt selbst ist die Lage in den Dörfern der Gemeinde. An der Save und damit unmittelbar an der kroatischen Grenze liegt das Dorf Bosanski Dubocac. Von den einst 600 Einwohnern sind nun noch gerade 200 übrig geblieben oder zurückgekehrt. Teile der Fel-der des Dorfes sind noch vermint, die Wasserversorgung ist ebenso zerstört wie die Dorfschule; Telefon gibt es keines. Zwei Mal pro Tag bringt ein Bus die Schüler nach Derventa.

Abgesichts dieser Lage hat sich Derventa zur Zusammenarbeit mit der EU entschlossen, obwohl im Gemeinderat die SDS, die Partei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadjic regiert. Bürgermeister Dragolub Kukic, ein 42-jähriger So-ziologieprofessor weiß, daß ohne EU und damit ohne Rückkehr der Vertriebenen die Stadt kaum eine Zukunft arbeiten kann. So hat Kukic gewissenhaft mit dem Hilfswerk Austria zusammenge-arbeitet, daß mit Mitteln und im Auftrag der EU 160 Familien die Rückkehr ermöglicht hat. Häuser und Wohnungen wurden ge-baut, wobei vor allem Familien berücksichtigt wurden, die anderen nationalen Gruppen angehörten. Ausgewählt wurden auch solche Personen, die in Häusern anderer Vertriebener lebten, um so auch diesen Personen die Rückkehr zu ermöglichen. Ins-gesamt etwa 10.000 Vertriebene hat das Hilfswerk Austria in Bosnien seit 1996 wieder angesiedelt, wobei die 18 Projekte im Auftrag der EU einen Wert von 420 Millionen Schilling umfaß-ten.
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