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Srebrenica auf der Suche nach Normalität

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Am 11. Juli jährt sich das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in der Stadt Srebrenica zum 17. Mal. Dieser Massenmord durch Truppen der bosnischen Serben unter General Ratko Mladic ist der größte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Gleichzeitig war er auch das schlimmste Versagen des Westens aber auch der endgültige Wendepunkt des Krieges in Bosnien und Herzegowina, weil schließlich die NATO unter Führung der USA das Morden beendete. 17 Jahre nach dem Massaker ist Srebrenica noch immer eine gezeichnete Stadt, aber auch auf der Suche nach Normalität und wirtschaftlichem Aufschwung, zu dem auch der Tourismus und die Heilquelle Guber beitragen sollen, deren Wasser in der Zeit der k. und k. Monarchie nach ganz Europa exportiert wurde. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat Srebrenica jüngst besucht und auch eine österreichische Hilfsorganisation begleitet, die seit mehr als zehn Jahren bemüht ist, rückkehrwilligen Vertriebenen bei der Wiederansiedlung und Existenzgründung zu helfen. Hier sein Bericht:

Der Weg nach Srebrenica für über den Ort Potocari, der etwa zehn Kilometer von der Kleinstadt entfernt ist. In Potocari befindet sich die Gedenkstätte für die Opfer des Massakers; mehr als 6.000 Personen wurden bereits identifiziert, bei weiteren 900 steht das Verfahren vor dem Abschluss. Wie sehr der Krieg den gesamten Osten Bosniens getroffen hat, zeigt das Bergbauerndorf Jaglici im Raum Srebrenica. Auf dem Denkmal beim Dorf sind 23 Bewohner verzeichnet, die zwischen 1992 und 1995 umkamen. Vor dem Krieg lebten 21 Familien in Jaglici, nun sind es vier. Vor drei Jahren zurückgekehrt ist Mehmetalija Kamenica mit seiner Frau und seinem Sohn, der neun Jahre alt ist. Sein Leben beschreibt der 32-jährige so:

„Das, was wir anpflanzen, nutzen wir mehrheitlich für unsere Bedürfnisse. Kartoffel und Mais, den verwenden wir vor allem für unser Vieh, ebenso das Heu. Mehl kaufen wir, soweit es möglich ist; das Heizmaterial liefert uns der Wald; der Winter war schwer, im Haus war es etwas unangenehm, vor allem für die kleinen Kinder, doch wir haben standgehalten. Ich bin zufrieden mit allem und vor allem mit Bauern helfen Bauern.“

Durch Spenden hat die Salzburger Hilfsorganisation „Bauern helfen Bauern“ nicht nur die vier Häuser in Jaglici finanziert, sondern auch die landwirtschaftliche Grundausstattung vom Vieh über das Saatgut bis zum Kleintraktor bereitgestellt. Damit lasse sich wirtschaften und etwas Geld verdienen, erläutert Mehmetalija Kamenica:

„Wir hatten vier Schafe, jetzt habe ich zwei; Ein Kalb habe ich verkauft; dafür bekam ich 425 Euro, und das Geld wird dann schrittweise für Nahrung aufgebraucht. So kann man leben.“

Geführt wird „Bauern helfen Bauern“ von Doraja Eberle, die seit 20 Jahren in Kroatien und Bosnien aktiv ist. Mehr als 30.000 Tonnen an Sachgütern wurden in dieser Zeit transportiert, eintausend Häuser wurden gebaut, davon 450 im Raum Srebrenica. Doch der gelernten Sozialarbeiterin geht es nicht nur um Hilfe zur Selbsthilfe, sondern auch um Aussöhnung; Doraja Eberle:

„Wir bringen schwangere Kühe hierher; ich schenke die Kuh einem Bosniaken, und sage, ich schenke Dir die Kuh aber nur, wenn Du das Kalb einer ethnisch anderen Gruppe schenkst, nämlich dem, der Dir auch so viel Leid angetan hat. Das kann ich nicht, das ist das aller erste, was er sagt; dann sage ich, wir begleiten dich; wir haben 192 Kühe herunter gebracht, vor allem in die Gegend von Banja Luka. Ich habe nicht einmal erlebt, dass es nicht funktioniert hat.“

Zur Selbständigkeit verholfen hat „Bauern helfen Bauern“ in Potocari auch dem Bäcker Asem Begic. Er bekam einen Kredit und den Auftrag, Flüchtlinge und Arme mit Brot zu versorgen. An diese Gruppe liefert er derzeit 24 Laib Brot täglich aus. In seiner Bäckerei kostet ein Laib mit 600 Gramm umgerechnet 50 Cent; 80 Prozent seiner Kunden kauft dieses Volksbrot; denn trotz einiger Industriebtriebe spüren die Einwohner die Wirtschaftskrise ebenso wie Asim Begic:

„Ich weiß nicht, ob das wegen der Krise ist, doch das Volk hat einfach kein Geld mehr. Seit dem neuen Jahr kann ich meine Mitarbeiter nur mehr mit Verspätung entlohnen, weil auch meine Kunden nur mit Verspätung ihre Schulden begleichen.“

Der 30-jährige Bosniake hat den Fall der Stadt im Juli 1995 noch gut in Erinnerung. Sein Überleben verdanken er und 13 Verwandte einer glücklichen Fügung; Asim Begic:

„Überlebt habe ich dank eines Serben und dank Gottes Hilfe. Mein Vater floh durch die Wälder, während wir bei dieser Fabrik waren, die Metallteile verzinkt. Dort erkannte meine Mutter einen Mann in Uniform; er hieß Desimir und war ein Kollege aus der Zeit vor dem Krieg in der Wirtschaftsbank in Sarajewo. Sie rief ihm zu, er drehte sich um, wurde etwas rot, und dann sprach er mit meiner Mutter. Desimir sagte, wir sollten hier warten, weil er Leute schicken werde. Nach einer halben Stunde kamen zwei Männer, die nach uns fragten und sie brachten uns durch die Menge zu einem Autobus.“

Das Gedenken an das Massaker ist für Srebrenica moralische Verpflichtung, historische Erblast, aber auch wichtige Einnahmequelle. Dazu sagt der Leiter des Fremdenverkehrsbüros der Stadt, Sejad Jahic:

„Derzeit haben wir vor allem eintägige Besuche von Schülern, Studenten und Institutionen aus Bosnien und Herzegowina sowie aus den Nachbarländern wie Kroatien oder aus Westeuropa. Sie besuchen die Gedenkstätte in Srebrenica und das sind etwa 100.000 Personen pro Jahr. Doch geringe Hotelkapazitäten machen höhere Übernachtungszahlen derzeit unmöglich.“

Vor dem Massaker war Srebrenica als Stadt bekannt, in der bereits in der Antike und im Mittelalter nach Silber und anderen Metallen geschürft wurde. Hinzu kommt die Heilquelle Guber, deren Wasser im 19. Jahrhundert nach ganz Europa exportiert wurde. Doch das Heilbad wurde im Krieg zerstört; um seinen Wiederaufbau bemüht sich ein Serbe, der in der Provinzhauptstadt Banja Luka offensichtlich mächtige Gegner hat; daher konnte das Projekt bisher nicht verwirklicht werden. Trotzdem hofft die Stadt auf Jagd- und Wellnesstourismus, denn auch die Drina und der Stausee Perucac seien landschaftlich reizvoll, betont Sejad Jahic:

„Unser Ziel ist es, dass wir Srebrenica auch in der Welt unter einem möglichst guten Licht präsentieren. Schrittweise wollen wir auch das Image ändern, so dass Srebrenica nicht nur ein Ort des Verbrechens und des Leidens ist, sondern dass Srebrenica auch ein außerordentlich schöne und anziehend ist, über viele natürliche und kulturelle Anziehungspunkte verfügt und auch seit der Antike bekannt ist.“

Gemeldet sind in Srebrenica 13.000 Personen, doch tatsächlich leben nur 7.000 in der Stadt, 3000 Bosniaken und 4000 Serben, jeder Fünfte ist arbeitslos. Das Gedenken an das Massaker und der Streit, ob bei der Lokalwahl im Herbst wiederum Vertriebene stimmberechtigt sein sollen, spaltet die politischen Eliten beider Volksgruppen auch im ganzen Land. Doch Aussöhnung muss bei der Jugend ansetzen, und dazu dient eine Musikschule, die in Srebrenica „Bauern helfen Bauern“ finanziert. Mehr als 30 serbische und bosniakische Kinder lernen hier gemeinsam Gitarre, Klavier oder nehmen Tanzunterricht. Ethnische Gegensätze gäbe es keine, betont die Tanzlehrerin Danka Tomic:

„Zwischen den Kindern besteht kein Unterschied; sie wollen tanzen, musizieren, sich unterhalten; das ist hier eine Art Abbau von überschüssiger Energie; denn in Srebrenica gibt es nicht viele kulturelle Ereignisse, es gibt kein Theater, keinen Zoo. So bedeutet das alles für die Kinder, das Gitarre und Klavier spielen, der Tanz in dieser Musikschule – das ist ein Volltreffer.“

So positiv diese Musikschule ist, so ernüchternd wirken Aussagen von Schülern, wenn man sie nach ihrer beruflichen Perspektive fragt. So sieht die 13-jährige Selma Durakovic für sich keine Zukunft in Srebrenica:

„Ich möchte Jus studieren und Gitarre spielen und auch irgendwo auftreten. Doch arbeiten möchte ich im Ausland und auch dort Städte besuchen. Denn in Bosnien gibt es nur wenige Arbeitsplätze und daher möchte ich dort arbeiten.“

Bauern helfen Bauern will künftig vor allem in die Ausbildung junger Bosnier investieren. Doch auch die beste Hilfsorganisation kann Stagnation und politische Krise nicht beseitigen, die Bosnien und Herzegowina seit sechs Jahren prägen; der Weg zur Normalität wird daher auch in Srebrenica noch ein weiter sein, obwohl nicht vergessen werden darf, dass es diese Salzburger Hilfsorganisation war, die vielen Menschen in der Region nach dem Krieg die Hoffnung auf ein besseres Leben zurückgegeben hat.

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