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15052012 Lage in Bosnien vor dem Mladic-Prozess

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Berichte Bosnien
In Den Haag beginnt morgen wohl einer der wichtigsten Kriegsverbrecherprozesse seit dem Zweiten Weltkrieg. Vor dem Tribunal hat sich der ehemalige Kommandant der bosnischen Serben, General Ratko Mladic, zu verantworten. Die Anklage wirft ihm die planmäßige Ermordung und Vertreibung von Bosniaken und Kroaten zwischen 1992 und 1995 vor. Angeklagt ist Mladic konkret wegen Vertreibung, Mord, Geiselnahme und zwei Mal wegen des Verbrechen des Völkermordes. Der bekannteste Fall ist das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in der Stadt Srebrenica im Sommer 1995. Die Anklage gegen Mladic ist mehrfach gestrafft worden, weil der Gesundheitszustand des 70-jährigen nicht besonders gut ist. In Bosnien und Herzegowina selbst spalten der Krieg und Ratko Mladic als Person nach wie vor Bosniaken und Serben. Darüber berichtet aus Bosnien unser alkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

Wie sehr Ratko Mladic Bosniaken und Serben mehr als 15 Jahre nach Kriegsende noch immer spaltet, zeigt bereits eine Straßenbefragung in Sarajewo. Im Ostteil der Stadt leben praktisch nur Serben; einer von ihnen bewertet Mladic so:

„Ratko Mladic war ein Soldat, sicher ein korrekter Mensch; wenn sich das tatsächlich in Srebrenica ereignet hat, dann bin ich sicher, er hat es nicht angeordnet.“

Dagegen wird die Stadt Sarajewo selbst von muslimischen Bosniaken dominiert; dort ist folgende Meinung über Mladic zu hören:

„Er braucht keinen Prozess, er sollte sofort öffentlich exekutiert werden, das hat er verdient.

Auch Meinungsumfragen untermauert diese Spaltung, denn in Bosnien und Herzegowina fehlt ein gemeinsames Geschichtsbild ebenso wie eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Völlig verschieden sind etwa Wahrnehmung und Bewertung des Massakers von Srebrenica. 96 Prozent der Bosniaken haben davon gehört und ebenso viele bewerten Srebrenica als Kriegsverbrechen. Bei den bosnischen Serben haben nur 54 Prozent davon gehört und nur jeder Vierte bewertet Srebrenica als Kriegsverbrechen und nicht als Begleiterscheinung des Krieges. So sieht der Vorsitzendes des Veteranenverbandes der bosnischen Serben, Pantelija Curguz, auch eine Mitschuld der Bosniaken:

„Dort haben enorme Verbrechen stattgefunden, allerdings von 1992 bis 1995. Dort wurden mehr als 3.000 serbische Zivilisten ermordet, Duzende Dörfer wurden vernichtet. Und dann kam es zu den Ereignissen von 1995, wo Angehörige der bewaffneten Formationen sich selbst das Recht genommen haben, all das heimzuzahlen. So ist 1995 eine Art von Revanche und Rache.“

Diese Ansicht wird wiederum von den Bosniaken massiv abgelehnt. Sie zahlten im Krieg den höchsten Blutzoll: Insgesamt kamen etwa 100.000 Personen um, davon sind Zwei Drittel Bosniaken, 22 Prozent Serben und 7 Prozent Kroaten; zählt man nur die Zivilisten, entfallen mehr als 80 Prozent der Opfer auf Bosniaken. Doch eine Anerkennung der Opfer der jeweils anderen Volksgruppe verhindere die ethnische Teilung, erläutert in Banja Luka die Leiterin der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung Tanja Topic:

„Wir erkennen hier nur unsere eigenen Opfer an, und um die kämpfen wir. Anderseits gibt es nur die Verbrechen der anderen. Wenn unsere Verbrechen beschämt zugegeben werden, dann finden sich auch banale und schreckliche Begründungen. Dann werden sie etwa gerechtfertigt mit Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg, und deswegen haben wir Verbrechen begangen, um zu verhindern dass sich diese Verbrechen an uns nicht wiederholen.“

Somit sieht sieh jedes der drei Völker nach wie vor nur als Opfer. Angesichts dieser politischen Atmosphäre wird der Prozess gegen Ratko Mladic die in Spaltung in Bosnien und Herzegowina wohl eher vertiefen. Eine umfassende Aussöhnung muss daher weit über die juristische Aufarbeitung des Krieges hinausgehen, soll Bosnien und Herzegowina als Staat eine Zukunft haben.

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