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Bosnien vor der Parlamentswahl im Oktober

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Berichte Bosnien
Abgesehen vom Kosovo ist Bosnien der größte Problemfall am Balkan. Serben, Kroaten und muslimische Bosnjaken leben 15 Jahre nach Kriegsend noch immer mehr schlecht als recht zusammen; der Staat selbst ist ein bürokratisches Monstrum, das mit dem Segen von USA und EU geschaffen wurde mit dem Ziel, die Macht der drei Völker feinsäuberlich auszubalancieren. Doch das reicht nicht, damit Bosnien, den Weg Richtung EU und NATO erfolgreich gehen kann; und bisher sind alle Versuche des OHR, des internationalen Bosnien-Beauftragten gescheitert, das Land zu einer Staatsreform zu bewegen. Zu all dem kommen Befürchtungen, der islamische Fundamentalismus könne in Bosnien fußfassen. Über all diese Probleme hat in Sarajewo unser Korrespondent Christian Wehrschütz mit dem stellvertretenden OHR-Vorsitzenden Raffi Gregorian gesprochen; hier sein Bericht:

600 Polizisten aus ganz Bosnien waren jüngst im Kampf gegen mutmaßliche islamische Fundamentalisten im Einsatz. Verhaftet wurden schließlich sieben Personen, die Anhänger der Bewegung der Wahhabiten sind. Zweifellos versuchen radikale islamische Gruppen, in Bosnien Anhänger zu gewinnen. Viele Jugendliche sehen keine Perspektive und der Staat ist nach wie vor schwach. Trotzdem will der stellvertretende OHR-Vorsitzende, der Amerikaner Raffi Gregorian, die Gefahr nicht überbewertet wissen. Immerhin habe es bisher in Bosnien keine Anschläge wie in London oder Madrid gegeben. Zur fundamentalistischen Herausforderung sagt Gregorian:

„Unsere größte Sorge ist, ob die lokalen Institutionen reif genug sind; schließlich sollen sich die internationalen Partner darauf verlassen können, dass die Behörden hier alles zur Rechtsdurchsetzung tun und Aktivitäten unterbinden, ehe sie zum Problem werden. Es gibt möglicherweise eine Bevölkerungsschicht, die für derartige Ideologien anfällig ist; in einem Land mit extremer Rhetorik auf allen Seiten, mit schwacher Wirtschaft und schwachen Institutionen, ist das ein Grund zur Sorge. Doch es scheint, dass die Sicherheitskräfte dieser Herausforderung gewachsen sind."

Der 45-jährige Raffi Gregorian ist nicht nur Stellvertreter von Valentin Inzko, dem internationalen Bosnien-Beauftragten aus Österreich. Vielmehr ist Gregorian als Amerikaner auch Supervisor, sprich Oberaufseher der Stadt Brcko. Über ihre Zugehörigkeit konnten sich Serben, Kroaten und Bosnjaken bei Kriegsende nicht einigen. So erhielt die Stadt an der Save einen Sonderstatus, wurde zum Distrikt Brcko, der unter US-Führung eine weit klarere Verwaltung hatte, als der Rest des Landes. Wirtschaftlich geht es Brcko daher klar besser, und auch das Zusammenleben der drei Völker funktioniert weit besser als in Bosnien insgesamt. Jüngst gab es in Brcko jedoch einen Streit um Denkmäler für die Opfer des Krieges; dazu sagt Raffi Gregorian:

" Das Thema der Denkmäler ist nun gelöst; das Denkmal der Serben wird dort bleiben, wo es ist; 150 Meter weiter weg werden nun Denkmäler für die gefallenen Kroaten und die Bosnjaken gebaut. Errichtet wird auch ein Denkmal für alle zivilen Opfer, und zwar sogar auch für die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Das ist alles sehr positiv. Brcko wird mit diesen Denkmälern der einzige Ort in Bosnien sein, wo es eine derartige Vereinbarung gibt."

Weit weniger positiv bewertet er die Leistungen der bosnischen Regierung; deren Bilanz vor der Parlamentswahl im Oktober beschreibt Raffi Gregorian so:

"Diese Regierung hat vier Jahre an Zeit und Geld der Bevölkerung vergeudet, und ist der EU und der NATO nicht näher gekommen. Das Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommens mit der EU, das NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden", fielen in die vergangenen vier Jahre, doch sie waren die Folge der Politik der Vorgänger-Regierung.. Vielleicht bringen uns die Wahl im Oktober wieder Parteien auf der Ebene des Gesamtstaates, die eine gemeinsame Vision haben, wohin sie gehen wollen.“

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