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Das Sondergericht in Bosnien für Kriegsverbrecher und OK

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Berichte Bosnien
Anfang der Woche ist die frühere Präsidentin der bosnischen Serben-Republik, Biljana Plavsic nach acht Jahren Haft vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Die 79-jährige Plavsic war vom Haager Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu insgesamt 11 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Doch Kriegsverbrecher-Prozesse werden nicht nur in Den Haag, sondern auch in Bosnien und Herzegowina selbst durchgeführt. Ein entsprechendes Sondergericht gibt es in Sarajewo seit vier Jahren. Min seinem Chefankläger hat in Sarajewo unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und den folgenden Bericht über die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit in Bosnien gestaltet:

Das Sondergericht in Sarajewo besteht aus drei Abteilung: die erste ist für Kriegsverbrechen zuständig, die zweite Abteilung behandelt Fälle der organisierten Kriminalität und die dritte allgemeine Straftaten. Seit der Gründung des Sondergerichts vor vier Jahren wurden 55 Kriegsverbrecherprozesse in erster Instanz abgeschlossen. Zu den verhängten Strafen sagt Milorad Barasin, der Chefankläger des Gerichts:

„In diesen 55 Fällen beläuft sich die Strafe auf zehn Jahre bis lebenslänglich. Die bisher letzte Strafe, die die zweite Instanz verhängte, betrug 30 Jahre für Taten, die sich beim Massaker in Srebrenica ereignet haben.“

Acht der mehr als 30 Staatsanwälte sind Ausländer; ihr Mandat soll um drei Jahre verlängert werden, doch darüber hat das Parlament in Sarajewo noch immer nicht entschieden. Dazu sagt Barasin:

„Das Mandat der internationalen Richter und Staatsanwälte läuft Mitte Dezember aus. Ihr Abgang würde uns große Probleme bereiten, denn dann müssen all ihre Fälle von neuem beginnen. Ich kann das mangelnde Verständnis dafür nicht verstehen, dass jeder heimische Kollege, der einen Ausländer ersetzen soll, mindestens ein Jahr braucht, um sich in diesen Fall einzuarbeiten, der dann von neuem beginnen muss.“

Um die Verfahren zu beschleunigen, hat Bosnien die Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Staatsanwalt und Verteidiger über ein Schuldeingeständnis eingeführt. Diese Vereinbarung, die der Richter billigen muss, habe sich bewährt, betont Chefankläger Milorad Barasin:

„Ich war der erste Staatsanwalt in Bosnien und Herzegowina, der eine Vereinbarung über ein Schuldanerkenntnis in einem Fall geschlossen hat, der ein Kriegsverbrechen betroffen hat. Diese Vereinbarung führte zu diversen Angriffen, Provokationen und Missverständnissen. Doch das war ein bedingter Fortschritt, weil wir allein in diesem Jahr acht derartige Vereinbarungen geschlossen haben. Das hat in großem Ausmaß das Strafverfahren verkürzt und auch die Kosten gesenkt.“

Weniger bewährt hat sich die Umstellung auf das amerikanische Rechtssystem. Der Untersuchungsrichter wurde abgeschafft, und Untersuchung und Strafverfolgung liegen seit 2003 in den Händen der Staatsanwälte. Probleme bereitet das nicht nur älteren Juristen, erläutert Barasin:

„Unser System bereit Probleme bei der internationalen Zusammenarbeit. Denn die Länder in der Region haben unser System noch nicht übernommen, obwohl sie auf weise Art in diese Richtung gehen. Doch das machen diese Länder nur schrittweise und lernen aus unseren Fehlern. Aber auch wir setzen die Änderung des Gesetzes fort, und so gibt es 140 Abänderungsvorschläge für das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung.“

Reformiert werden müsse aber auch der Zeugenschutz, betont Barasin:

„Notwendig ist etwa die Übersiedlung geschützter Zeugen ins Ausland, doch dazu braucht es Geld. Denn wir sind ein kleines Land, jeder kennt jeden, und daher ist es normal, das man weiß, was jemand macht und wohin er geht. Bekannt ist daher sogar, was er vor dem Staatsanwalt und vor Gericht aussagen wird.“

Insgesamt untersucht die Staatsanwaltschaft 1.400 Fälle von Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina. Allein aus 600 Altfällen wird gegen fast 4.000 Personen ermittelt; heuer kamen weitere 80 Fälle mit knapp 300 Verdächtigen hinzu. Ohne effizienten Zeugenschutz wird eine Aufklärung vieler dieser Verbrechen wohl niemals möglich sein.

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