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Kampf der Rechtskulturen um den Balkan

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Berichte Bosnien
Auf dem Weg Richtung EU haben Albanien und die Staaten des ehemaligen Jugoslawien auch den gesamten Europäischen Rechtsbestand zu übernehmen und auch anzuwenden. Bei mehr als hunderttausend Seiten EU-Recht ist das an sich schon keine leichte Aufgabe. Zusätzlich erschwert wird sie dadurch, dass in Südosteuropa ein stiller Kampf um die Dominanz zwischen europäischem und angloamerikanischem Recht tobt, weil die USA bestrebt sind, für ihre Geschäftsleute in der Region besonders gute und vertraute Rahmenbedingungen zu schaffen. Über diesen Kampf der Rechtskulturen hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit dem Grazer Universitätsprofessor Josef Marko gesprochen, der fünf Jahre Richter am Verfassungsgerichtshof von Bosnien und Herzegowina gewesen ist. Hier sein Bericht:

Die Vorbereitung auf den EU-Beitritt erfordert in den Staaten des sogenannten Westbalkan auch den Aufbau einer Verwaltung, die EU-Recht nicht nur formell übernehmen, sondern in der Praxis umsetzen kann. Der Zustand dieser Verwaltungen ist daher ein guter Hinweis dafür, wie unterschiedlich weit die betreffenden Länder auf ihrem Weg Richtung EU bereits fortgeschritten sind. Dazu sagt der Grazer Jurist und Universitätsprofessor Josef Marko:

"Kroatien hat mehr als 1.300 Verwaltungsbeamte, die sich fast ausschließlich mit der Frage der Übernahme und Umsetzung des Europarechtes beschäftigen. Serbien hat mittlerweile in seiner Regierung auch schon 400 Leite die damit beschäftigt sind, sich eben auf den EU-Beitritt und die Übernahme des Rechtsbestandes zu konzentrieren, während Bosnien zwar eine eigene Abteilung im Ministerium geschaffen hat, aber da arbeiten nicht mehr als 10 Leute daran."

Diese Zahlen zeigen, wie weit Bosnien zurückliegt, obwohl Bosnien fast zeitgleich mit Serbien den Vertrag über Stabilisierung und Assoziierung mit Brüssel unterzeichnet hat. Das Kroatien führt, ist zwangsläufig, weil es das einzige Land des Westbalkan ist, das mit der EU bereits über seinen Beitritt verhandelt. Die Übernahme des EU-Rechts unterstützt Brüssel seit 2003 auch durch Justizakademien in den jeweiligen Ländern. Doch die Übernahme des europäischen Rechtssystems verläuft nicht ohne Konflikte, weil auch die USA bestrebt sind, ihr angloamerikanisches Rechtssystem durchzusetzen, das sich von der europäischen Rechtstradition gravierend unterscheidet. Dazu sagt Marko:

"Was sehr oft nicht gesehen wird, dass es so etwas wie einen Kampf der Kulturen, nämlich der Rechtskulturen in Südosteuropa gibt, weil eben die American Bar-Association, vergleichbar unserer Rechtsanwaltskammer in Österreich, versucht, für den gesamten Bereich des Wirtschaftsrechtes das amerikanische Recht einzuführen, um für ihre Geschäftsleute auch entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, die ihnen vertraut sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch in Deutschland, unterstützt durch die deutsche Regierung, eine Gesellschaft für sogenannte technische Zusammenarbeit, die sich auch sehr stark im Bereich der Rechtsreformen in den Westbalkanländern engagiert; und dann sieht man sehr deutlich, wie mitteleuropäische und amerikanische Rechtsvorstellungen im Wirtschaftsrecht aufeinandertreffen, und hier auch dementsprechend politische Konflikte erzeugt werden, welche Rechtstradition soll hier eigentlich in Zukunft aufgebaut werden."

Im Bereich des Strafrechts hat Europa diesen Kampf in Bosnien und im Kosovo vorläufig verloren, denn dort wurde amerikanisches Strafrecht eingeführt. Es gibt somit weder Untersuchungsrichter noch die Pflicht zur materiellen Wahrheitsfindung. Die Konsequenzen für die regionale Zusammenarbeit zwischen Bosnien und etwa Serbien und Kroatien, wo die mitteleuropäische Tradition des Strafrechts gilt, bezeichnet Josef Marko als gravierend:

„Also vor allem dann grenzüberschreitend auch bei Kriegsverbrechen zusammenarbeiten zu müssen, wird dadurch extrem erschwert."

Bleibt nur die Frage, warum die EU, diese Entwicklung in Bosnien und im Kosovo zugelassen hat, wo sie doch in beiden Ländern nicht nur der größte Geldgeber, sondern im Kosovo auch mit einer Polizei- und Justizmission vertreten ist, die derzeit mehr als 1.500 Polizisten, Richter und Staatsanwälte umfasst.

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