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Interview mit Miroslav Lajcak über Bosnien nach Radovan Karadzic

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Berichte Bosnien
Die Verhaftung des mutmaßlichen bosnisch-serbischen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic hat IN Bosnien und Herzegowina Reaktionen ausgelöst. Während die Bosnjaken feierten, protestierten die Serben gegen die Verhaftung. Diese Spaltung ist ein Grund dafür, warum viele Reformen sehr langsam verlaufen. Hinzu kommt das komplizierte vier Millionen Einwohner zählende Staatswesen, in dem Bosnjaken, Kroaten und Serben in zwei Teilstaaten mit einem schwachen Zentralstaat leben. Der Hohe Repräsentant der EU, der Slowake Miroslav Lajcak befürchtet daher, dass der bevorstehende Prozess gegen Radovan Karadzic die Gegensätze zwischen Bosnjaken, Serben und Kroaten weiter vertiefen könnte. Mit Miroslav Lajcak hat in Sarajewo unser Korrespondent Christian

In der Verhaftung von Radovan Karadzic sieht der Hohe EU-Beauftragte für Bosnien, der Slowake Miroslav Lajcak, eine versäumte Gelegenheit zur Aussöhnung. Spitzenpolitker der Bosnjaken und Serben, sei in ihre alten Klischees verfallen und hätten einander angegriffen. Diese Strategie der Homogenisierung ihrer Wähler werden die Politiker aller drei Volkgruppen wohl noch weit intensiver verfolgen, finden doch Anfang Oktober Lokalwahlen statt. Auch für den Prozessbeginn gegen Radovan Karadzic vor dem Haager Tribunal erwartet Miroslav Lajcak daher für Bosnien nichts Gutes:

„Ich persönlich fürchte, dass wir während des Gerichtsverfahrens noch mit einer weiteren Vertiefung der Gegensätze und aller Formen des Nationalismus konfrontiert sein werden. Die internationale Gemeinschaft wird alles tun müssen, um das nicht zu zulassen."

Wie geteilt das Land ist, zeigte auch die Stadt Mostar, und zwar beim Fußball-EM-Spiel Kroatien – Türkei. Die bosnischen Kroaten hielten für Kroatien, die Bosnjaken für die Türkei. Nach der Niederlage Kroatiens musste die Polizei mit einem Großaufgebot einschreiten, um Anhänger zu trennen. Diese Ausschreitungen folgen einem Muster, analysiert Lajcak:

"Leider entspricht die politische Logik in Bosnien und Herzegowina absolut dem Prinzip "teile und herrsche". Im Sommer habe ich 16 Städte besucht und mit tausenden Bürgern gesprochen und dabei gesehen, dass überall dasselbe Modell besteht. Die Mehrheitsbevölkerung ignoriert die Minderheit, darüber beklagt sich die Minderheit; doch wo es etwa Fifty - Fifty steht, trennen sie sich, weil sie nicht zusammen sein wollen. Diesem Muster folgen alle Parteien und alle drei Völker, und das ist sehr gefährlich für die Zukunft dieses Landes."

Diese Zukunft sehen immerhin mehr als 80 Prozent der Bosnier in der EU. Und der Vertrag über Stabilisierung und Assoziation wurde immerhin jüngst zwischen Sarajewo und Brüssel unterzeichnet. Doch diese Lorbeeren seien kein Ruhekissen, mahnt Lajcak:

Jetzt müssen alle Politiker nicht nur mit Worten sondern auch mit Taten jene 30 Aufgaben aus dem Vertrag über Stabilisierung- und Assoziation umsetzen. Dabei ist bisher nicht viel geschehen, während in den Zeitungen bereits spekuliert wird, ob Bosnien nicht bereits den EU-Beitrittsantrag stellen soll. Das völlig unseriös. Das ist ein sehr schlechtes Verständnis der EU-Integration, denn allen muss klar sein, dass man viel arbeiten muss, wenn man erfolgreich sein will."

Denn um dereinst EU-beitrittsreif werden zu können, wird Bosnien seine kompliziertes Staatswesen und damit auch seine Verfassung ändern müssen. So gibt es im Gesamtstaat noch nicht ein Mal ein Landwirtschaftsministerium, das mit der EU über einen Beitritt verhandeln könnte. Diese Kompetenz liegt noch bei den beiden Teilstaaten; auf eine Verfassungsänderung konnten sich die Politiker bisher nicht einigen, und von einer gemeinsamen Identität sind Bosnjaken, Kroaten und Serben noch weit entfernt. Um den Staat zusammenzuhalten, habe die internationale Gemeinschaft daher folgende Aufgaben zu erfüllen, erläutert Lajcak:

„Die lokalen und die internationalen Vertreter müssen erstens dazu beitragen, dass alle Kriegsverbrecher abgeurteilt werden, um das Kapitel der Vergangenheit schließen zu können. Zweitens dürfen wir nicht zulassen, dass die Tragödie des Krieges heute für politisches Kleingeld missbraucht wird. und drittens müssen sich Politiker und Öffentlichkeit auf die EU-Integration konzentrieren. Denn Bosnien muss ein Teil der europäischen Strömungen werden."

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