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Srebrenica und Serbien

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Am 11. Juli jährt sich das Massaker in der bosnischen Stadt Srebrenica zum zehnten Mal. Obwohl von der UNO zur Schutzzone erklärt stürmten Einheiten der bosnischen Serben unterstützt von Truppen aus Serbien die Stadt. Das niederländische UNO-Kontingent griff nicht ein und die serbischen Besatzer verübten das größte Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Gesicherte Schätzungen sprechen von 7800 getöteten Bosnjaken, doch Angehörige der Opfer gehen sogar von mehr als 10.000 Toten aus. Die Auftraggeber des Massakers, die bosnischen Serben-Führer Ratko Mladic und Radovan Kardjic, sind noch immer auf der Flucht. In der bosnischen Serben-Republik und in Serbien gelten sie vielen sogar als Helden. Dieses Bild wurde jüngst in Serbien etwas erschüttert, als zum ersten Mal Bilder gezeigt wurden, wie serbische Sondertruppen sechs Bosnjaken ermordet haben. Zwar wurden die meisten Täter rasch verhaftet, doch in Serbien wird der Massenmord in Srebrenica noch immer von vielen angezweifelt. Wie sehen nun die Serben diese Bilder, Srebrenica, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und das Haager Tribunal. Dieser Frage ist in Belgrad unser Korrespondent Christian Wehrschütz nachgegangen, der dazu den folgenden Beitrag gestaltet hat.

Den Anstoß für die Debatte über Srebrenica gaben in Serbien Mitte Mai ausgerechnet jene, die das Massaker an Bosnjaken in der einstigen UNO-Schutzzone leugnen. Diese ultranationalistischen Kräfte veranstalteten an der Universität Belgrad eine Diskussion mit dem Titel „Srebrenica, 10 Jahre nach der Befreiung.“ Über die Befreier bestand dabei kein Zweifel:

Doch nicht nur die ehemaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadjic und Ratko Mladic wurden gefeiert, sondern auch die militärische Lage im Juli 1995 erörtert. So gab der pensionierte serbische General Radovan Radinovic an, bei den Kämpfen im Raum Srebrenica seien mehr als 2.000 Bosnjaken gefallen. Daraus zog Radonvan Radinovic folgenden Schluss:

„Wenn wir uns schon bewusst sind, dass es ein Verbrechen war, und wenn wir all dieses Brandzeichen der Schande tragen, dann ist es nicht bedeutungslos, ob es 3.000 oder 7.800 waren. Die Bewertung eines Verbrechens hängt auch von seinem Ausmaß ab. Und ich bin daher überzeugt, dass es in Srebrenica keinen Völkermord gab, denn es hat niemand geplant dort einen Völkermord zu begehen.“

Doch gerade Überlebende und Prozesse vor dem Haager Tribunal haben praktisch außer Zweifel gestellt, dass die Massenerschießungen nach dem Fall von Srebrenica als Völkermord zu werten sind, obwohl viele Bosnjaken auch im Kampf gefallen sind. Trotzdem zeigte der General eine gewisse Einsicht. Sie fehlte dem Verteidiger von Slobodan Milosevic vor dem Haager Tribunal, Dragoslav Ognjanovic, völlig. Seine Version von Srebrenica erläuterte Ognjanovic so:

„Von etwa 2.500 exhumierten Körpern war nur einer weiblich; praktisch alle anderen Opfer waren daher wehrfähig Männer; bei nur etwa 500 wurden Fesseln an Händen und Augen-binden gefunden, so dass man von Exekutionen sprechen kann. Daher entspricht die Zahl von 2.000 Toten in Srebrenica völlig der unbestreitbaren Tatsache, dass dort zwischen 6. und 11. Juli sehr intensive Kämpfe stattgefunden haben.“

Denn die Zahl 2.500 bezieht sich nur auf jene Opfer, die bereits identifiziert werden konnten. Mehr als 3.000 Leichensäcke mit einem bis mehreren Opfern lagern noch in Bosnien und etwa 30 Massengräber konnten noch nicht geöffnet werden. Die Zahl von 7.800 Opfern des Massakers ist somit eine realistische Berechnung. Doch all diese Fakten negieren serbische Ultranationalisten wie die Journalistin Liljana Bulatovic, die ein Buch über Ratko Mladic verfasst hat. Ihr Resümee bei der Diskussion in Belgrad war eindeutig, Liljana Bulatovic:

„Ich habe alles gelesen, was Autoren verschiedener Nationalität über Srebrenica geschrieben haben. Daher weiß ich, dass wir den zehnten Jahrestag bewerten können als zehnten Jahrestag der Befreiung von Srebrenica.“

Dieser These entgegenwirken sollte ein Video, das serbische Menschenrechtsaktivisten Ende Mai den Behörden und dem Haager Tribunal übergaben, und das auch im Staatsfernsehen in Serbien ausgestrahlt wurde. Es zeigt die Erschießung gefangener Bosnjaken durch serbische Sonderpolizisten. Trotz des zunächst großen medialen Echos, blieb die Wirkung der Bilder jedoch gering, wie seriöse Umfragen belegen. Dazu sagt die Meinungsforscherin Svetlana Logar:

„Alles in allem gemessen an der Gesamtzahl der volljährigen Serben haben wir nach der Ausstrahlung dieses Dokuments nur 23 Prozent, die darüber informiert waren, an die Authentizität des Films glaubten und das auch als Kriegsverbrechen angesehen haben.“

In gewisser Weise lösten die Bilder sogar einen gegenteiligen Effekt aus, den Svetlana Logar so erläutert:

„Im April vor der Ausstrahlung der Bilder glaubten in unseren Umfragen 40 Prozent, dass Srebrenica ein Kriegsverbrechen war. Nach Ausstrahlung des Films glaubten nur 23 Prozent der Bürger an dieses Dokument. Das kann man so erklären, dass es für die Bürger viel leichter ist, abstrakt über ein Kriegsverbrechen zu sprechen. Doch wenn sie mit diesen schockierenden Bildern konfrontiert sind, sind sie viel leichter geneigt, dass für Fotomontagen zu halten, als diese hässliche Wahrheit zu akzeptieren.“

Diese mangelnde Akzeptanz zeigt sich auch bei der Frage, ob Serbien Ratko Mladic an das Haager Tribunal ausliefern soll. Etwa 50 Prozent sind dafür, doch nur 20 Prozent sind der Ansicht, dass Mladic schuldig ist. Der Rest ist dafür, weil das eine Bedingung für die Integration in die EU ist. Je ein Viertel der Serben halten Mladic und Karadjic gar für einen Helden oder für unschuldig. Verantwortlich dafür sind auch die Medien. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist in Serbien ein Minderheitenprogramm, und die Masse der Bevölkerung vergisst zunehmend, dass es Kriegsverbrechen gab. Wenn darüber berichtet wird, dann meistens einseitig; das wirkt sich auf die öffentliche Meinung aus, wie Svetlana Logar betont:

„Die Serben sind tief davon überzeugt, dass sie die größten Opfer in den Kriegen zu verzeichnen hatten und am wenigsten Kriegsverbrechen begangen haben. Die Gründe dafür sind relativ einfach. Serbien war lange Zeit isoliert, nicht nur was den Informationsfluss betrifft. Zweitens wird darüber nicht gesprochen und drittens sehen die Serben nur die eigenen Opfer, über die auch gesprochen wird. In ihrer Umgebung sehen sie nur serbische Flüchtlinge, die aus Ex-Jugoslawien gekommen sind. Sie sehen nicht die Leiden anderer Völker, der Bosnjaken, der Kroaten, der Albaner.“

Diese Leiden sind auch für die politische Elite praktisch kein Thema. Im Gegenteil. Mutmaßliche Kriegsverbrecher, die sich dem Tribunal stellten, wurden von Regierungschef und Patriarchen empfangen; für die Bevölkerung bleibt somit unklar, ob sich Helden opfern, oder ob mutmaßliche Kriegsverbrecher zu Verantwortung gezogen werden, zumal über die zur Last gelegten Taten kaum berichtet wird. Hinzu kommt ein geistiges Klima, das unter dem serbischen Präsidenten Boris Tadic und unter Ministerpräsident Vojislav Kostunica spürbar nationalistischer geworden ist. So ist die Minderheitsregierung im Parlament auf die Milosevic-Sozialisten als Mehrheitsbeschaffer angewiesen. Sie wurden damit politisch salonfähig und jüngst wurde offenbar als politisches Tauschgeschäft auch der internationale Haftbefehl gegen Milosevics Ehefrau Mira Markovic aufgehoben. Die Aufrechnung von Verbrechen ist nicht nur bei Ultranationalisten weit verbreitet, und im Parlament scheiterte eine Resolution zu Kriegsverbrechen, auch weil sich die Parteien nicht einigen konnten, ob das Wort Srebrenica im Text vorkommen soll. Das Video über die Erschießung gefangener Bosnjaken durch serbische Sonderpolizisten, könnte sich somit als mediale Eintagsfliege entpuppen, befürchtet die Meinungsforscherin Svetlana Logar:

„Wenn darüber nicht mehr gesprochen wird, wenn es keine direkten öffentlichen Gespräche und Folgen gibt, dann wird auch das, wie die Ereignisse selbst, wieder sehr schnell vergessen werden.“

Doch für EU, USA und das Haager Tribunal zählen offensichtlich nur die Auslieferung von Ratko Mladic und Radovan Karadjic. Sind diese Fälle irgendwann ein Mal erledigt, werden der internationale Druck und die ohnehin zaghaften Versuche der Vergangenheitsbewältigung sofort nachlassen. Das sind keine guten Vorzeichen für die Aussöhnung im ehemaligen Jugoslawien, die die Voraussetzung für die dauerhafte Stabilisierung des Balkan ist.

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