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Sonderfall Brcko

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Berichte Bosnien
In der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina nimmt die 90.000 Einwohner zählende Stadt Brcko in doppelter Hinsicht eine Sonderstellung. Brcko ist ein Distrikt und neben dem serbischen und dem bosnjakisch-kroatischen Teilstaaten eine eigenständige Verwaltungseinheit. So wie im Gesamtstaat der internationale Hohe Repräsentant Sondervollmachten ausübt, tut das in Brcko ein sogenannter Superviser. Diese Sonderstellung geht darauf zurück, dass sich die Parteien des Bosnienkrieges im Friedensabkommen von Dayton Ende 1995 vor nicht darauf einigen konnten, welchem der beiden Teilstaaten die Stadt zufallen sollte. Erst im Sommer 1999 wurde nach Verhandlungen in Wien eine Lösung gefunden, und Brcko wurde ein eigener Distrikt. Brckos zweite Besonderheit besteht darin, das im Gemeindegebiet das größte Einkaufzentrum des Balkan liegt. Es umfasst 400.000 Quadratmeter und wird pro Jahr von drei Millionen Kunden besucht. Das hat auch unserer Korrespondent Christian Wehrschütz getan, der folgenden Bericht über Brcko gestaltet hat.

Jahrelang war eine Fahrt von Brcko Richtung Sarajevo ein besonderes balkanisches Erlebnis. Am Stadtrand säumten plötzlich Hunderte Bretterbunden und Markstände die Straßen. Das Gewirr war ebenso unbeschreiblich wie das Warenangebot des sogenannten Arizona-Marktes Es reichte von geschmuggelten Zigaretten über Waschmittel und Waschmaschinen bis zu Autoersatzteilen. Dieses Areal übernahm schließlich die Stadtverwaltung. Eine italienische Entwicklungsgesellschaft investierte mit Hilfe der Hypo-Alpe-Adria-Bank zunächst fünf Millionen Euro. Die Bretterbuden wurden in ein Einkaufszentrum umgewandelt, das jüngst eröffnet wurde. 5.000 Personen werden hier beschäftigt sein. Brcko liegt im Grenzgebiet zu Kroatien und Serbien und das macht den Arizona-Markt besonders attraktiv. Von den Miet- und Steuereinnahmen profitiert die Stadt, die einen Wirtschaftsauschwung erlebt. Dazu sagt die internationale Verwalterin von Brcko, die Amerikanerin Susan Rockwell Johnson:

„Brcko konnte in den vergangenen Jahren mehr als 35 Millionen Euro aus der Privatisierung erwirtschaft. Das Projekt des Arizona-Markts selbst repräsentiert eine Investition von 100 Millionen Euro in Verlauf von sieben Jahren. Wir erwarten, dass auch viele weitere Privatisierungen die Wirtschaft von Brcko und die Region zusätzlich stimulieren werden.“

Johnson ist als sogenannter Superviser die höchste Autorität der Stadt, in der im Herbst zum ersten Mal seit Kriegsende der Gemeinderat gewählt wurde. Das Budegt der Stadt ist ausgeglichen, doch Johnson hat noch andere Erfolge vorzuweisen. Mehr als 20.000 Flüchtlinge kehrten zurück, 20.000 vertriebene Serben wurden integriert, und auch die multiethnische Polizei funktioniert besser als im übrigen Land. Gleiches gilt auch für das Schulwesen, das dazu beitragen soll, die Aussöhnung zwischen Serben, Bosnjaken und Kroaten voranzutreiben: Dazu sagt Susan Rockwell-Johnson:

„Das Erziehungssystem ist multiethnisch in dem Sinne, dass alle Kinder in dieselben Schulen gehen und dieselben Lehrpläne haben. Das gilt auch für die Lehrer und die Schulverwaltung. Unterschiede gibt es bei bestimmten Gegenständen, wo die Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet werden und Lehrbücher in dieser Sprache haben, die entweder in kyrillischer oder lateinischer Schrift verfasst sind. Das gilt für die Fächer Muttersprache, Geschichte Musik und Kultur.“

Begünstigt wird die Entwicklung in Brcko dadurch, dass keine der drei Volksgruppen eine zahlenmäßig dominante Stellung inne hat. Trotzdem sind die Folgen des Krieges noch lange nicht beseitigt. Etwa 2000 Häuser weisen noch Kriegsschäden auf, die Wasserversorgung ist veraltet und 12.000 der 90.000 Einwohner sind arbeitslos. Auch der Hafen von Brcko, das an der Save liegt, ist weit von seiner Vorkriegsstellung entfernt. Seine Kapazität von einer Million Tonnen wird nur zu fünf Prozent genutzt. Die Flussbett ist noch nicht ausreichend gereinigt und auch das Abkommen, das die Save wieder zu einer internationalen Wasserstraße macht, haben die Parlamente in Sarajevo, Zagreb und Belgrad noch nicht ratifiziert. Auch das zeigt, wie wichtig die regionale Zusammenarbeit ist, damit nicht nur Brcko und Bosnien, sondern auch Kroatien und Serbien die katastrophalen Folgen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien endlich überwinden können.

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