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Mostar und die Brücke

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Berichte Bosnien
In Bosnien-Herzegowina wird in der Stadt Mostar am 23. Juli die historische Brücke über den Fluss Neretva feierlich wiedereröffnet. Die 1566 erbaute Brücke überstand alle Stürme der Geschichte bis zum 9. November 1993. An diesem Tag zerstörten kroatische Milizen das Bauwerk. Kroaten und muslimische Bosnjaken hatten einander im Bosnien-Krieg in Mostar erbittert bekämpft. Seit Kriegsende war die Stadt zwischen diesen beiden Völkern geteilt, während die Serben praktisch aus Mostar verschwunden sind. Die internationale Verwaltung in Bosnien hat die Stadt im März per Erlass vereinigt und die Bildung einer einheitlichen Stadtverwaltung angeordnet. Doch die Gräben sind nach wie vor sehr tief und die wiederaufgebaute Brücke ist bisher ein Symbol geblieben, das die Realität in Mostar nicht widerspiegelt. Unser Balkankorrespondent Christian Wehrschütz hat Mostar jüngst besucht und folgendes Bild über das Leben in der Stadt gezeichnet:

Der Weg von der bosnischen Hauptstadt Sarajevo nach Mostar ins Zentrum der Herzegowina führt durch ein landschaftlich reizvolles Tal, das der Fluss Neretva gegraben hat. Das Wasser hat eine wohltuende blaugrüne Farbe. Schilder am Straßenrand weisen auf Fischzucht und Fischlokale hin. Je näher man der Stadt kommt, desto öfter tauchen kroatische Fahnen, katholische Kirchen und vereinzelt Moscheen auf. Dominiert wird das Bild der einhunderttausend Einwohner zählenden Stadt Mostar zunächst von einem riesigen Kreuz auf einem Hügel im Westen der Stadt. Errichtet von den Kroaten ist es für viele muslimische Bosnjaken vor allem ein Symbol der kroatischen Vorherrschaft, obwohl beide Völker jeweils knapp 50 Prozent der Einwohner stellen. Vor dem Krieg war das anders. Je ein Drittel etwa waren Kroaten und Bosnjaken, knapp 20 Prozent waren Serben und 11 Prozent bezeichneten sich als Jugoslawen. Serben und Jugoslawen sind nun praktisch verschwunden; die wirtschaftlich stärkeren Kroaten leben im Westen und die Bosnjaken im Osten der Stadt. Hinterlassen hat der Krieg nicht nur eine unsichtbare Teilung, sondern noch viele Zerstörungen. Sie sind das zweite prägende Element des Stadtbildes und wirken auf den Besucher besonders deprimierend, weil seit Kriegsende bereits acht Jahre vergangen sind. Starke Schäden weist auch noch das aus österreichischer Zeit stammende Gymnasium auf. Das Gebäude wird gerade renoviert; ab Herbst werden zum ersten Mal wieder kroatische und bosnjakische Kinder gemeinsam die Schule besuchen, allerdings in getrennte Klassen gehen. Zur geplanten Gemeinsamkeit sagt Schuldirektor Dinko Milicevic:

„Sie können in der Pause und in der Zeit außerschulischer Aktivitäten zusammen sein. Vorgesehen sind gemeinsame Theateraufführungen, eine gemischte Fußball- und eine gemischte Basketballmannschaft werden gebildet, weil am Endes jedes Schuljahres Wettkämpfe stattfinden.“

Unterrichtet wird nach getrennten Lehrplänen sowie auf Bosnisch und Kroatisch, wobei Dinko Milicevic selbst Probleme hat, den Unterschied zwischen den zwei Sprachen zu erklären:

„Es ist schwer, darauf zu antworten. Es gibt Wörter, die gemeinsam sind und die sich unterscheiden, aber auch Wörter aus dem Serbischen, das vor dem Krieg dominiert hat. Denn vor dem Krieg war das eine Sprache serbo-kroatisch oder kroato-serbisch, doch, dominiert hat das Serbische. Wir verstehen einander völlig, doch nur andere Worte werden verwendet.“

Auf die deutsche Hochsprache übertragen besteht der Unterschied in abweichenden Fachbegriffen und darin, dass der Österreicher Fleischhauer statt Metzger, Schlag statt Sahne oder Eierschwammerl statt Pfifferling sagt. Daher gibt es ist Österreich auch keine deutsche Auslandsschule für Kinder deutscher Diplomaten und Kinder aus Österreich gehen ohne Probleme in eine deutsche Schule. Doch in Mostar und Bosnien hat der Krieg diese Normalität zerstört, wobei vor allem die Kroaten als kleinstes Volk fürchten, majorisiert zu werden. Diese Trennung ist auch beim Fach Geschichte spürbar, wie der Direktor des Gymnasiums von Mostar, Dinko Milicevic, erläutert:

„Es müsste sein, dass eine Geschichte in ganz Bosnien gelehrt wird, das wäre logisch. Denn die Bosnjaken haben ihre Geschichte, ihre Wahrheit, ihren Krieg, ihre Darstellung, die Kroatien haben eine andere und die Serben wiederum eine andere. Das müsse man vereinen und entscheiden, welcher Inhalt gemeinsam ist, was man verwirft, doch hier hält noch immer die Politik die Lösung in ihren Händen.“

Doch von dieser Lösung ist die Politik weit entfernt. So musste das OHR, die internationale Bosnien-Verwaltung, im März ein neues Statut für Mostar erlassen, weil Kroaten und Bosnjaken keinen Kompromiss fanden. Die verordnete Vereinigung der Stadt erzwang die Auflösung der je drei kroatischen und bosnjakischen Bezirke und Institutionen unter eine einheitliche Stadtverwaltung. Nach den Lokalwahlen im Herbst wird der Gemeinderat aus jeweils 15 Kroaten und Bosnjaken, 4 Serben und einem Vertreter einer anderen Volksgruppe bestehen. Bisher waren praktisch nur die beiden großen Volksgruppen im Gemeinderat vertreten. Unter internationalem Druck verabschiedeten er jüngst ein Budget und begann, Institutionen zusammenzulegen. Dazu zählen Schulen, Rettung und Feuerwehr. Wie absurd die Teilung der Stadt bisher war, erläutert der Präsident des Gemeinderates, Ivan Musa, so:

„In der Praxis gab es zwei Rot-Kreuz-Stationen mit zwei Telefonnummern. Doch jetzt wird das nur eine Nummer sein. Das gleiche galt auch für die Feuerwehr, die in zwei Stationen mit zwei getrennten Notrufnummern und zwei getrennten Verwaltungen geteilt war. Doch jetzt ist das alles eins.“

Damit ist nun eins, was in jeder normalen Stadt eine Selbstverständlichkeit ist, und auch weit besser funktioniert. So sind etwa die Feuerwehrautos mehr als 20 Jahre alt und haben noch keine Funkverbindung zur Zentrale. Doch rücken die Autos der kroatischen Feuerwehr nun wenigstens aus, wenn es im bosnjakischen Stadtteil brennt und umgekehrt. Dieser Fortschritt haben viele Bewohner Mostars entweder noch gar nicht bemerkt, oder er ist ihnen zu gering:

Frau:

„Ich habe überhaupt nichts bemerkt, dass etwas vereinigt wurde. Ich sehe einfach keine Bewegung.“

Mann:

„Ich weiß, dass es nur eine Luft zum Atmen gibt, und dass sie die Feuerwehr vereinigt haben. Doch alles andere ist fraglich. Ich weiß, dass auf dem Gebiet der Stadtplanung und des Städtebaus noch zwei Institutionen mit nationalen Vorzeichen bestehen.“

Ohne nationale Vorzeichen arbeitet bereits das städtische Wasserwerk. Denn das Wasser widerstand allen Versuchen, sich teilen zu lassen, obwohl die Verwaltung nach nationalem Proporz besetzt ist. Sie hat aber nun mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, wie Mile Puljic, Direktor des Wasserwerks, erläutert:

„Bis zu 60 Prozent der Bürger bezahlen ihre Wasserrechnung. Das ist für uns, für den Balkan ein Erfolg. Doch was die Industrie betrifft, so ist das Fifty-Fifty. Die Hälfte der Unternehmen zahlt schlecht. Betriebe, die aus dem staatlichen Budget finanziert werden, haben die größten Probleme. Dazu zählen die Streitkräfte oder die Spitäler, doch Krankenhäusern kann man das Wasser nicht abdrehen.“

Hinzu kommen Strom- und Steuerschulden, Wasserdiebstahl, wilde Anschlüsse und Leitungsverluste von mehr als 60 Prozent, denn das Netz ist alt und wurde durch den Krieg schwer beschädigt. Doch die Weltbank war nur bereit für ein Wasserwerk Kredite zu geben, und so war das Wasserwerk die erste Institution, die ereinig wurde. Weltbank und andere internationale Geldgeber haben auch 15 Millionen Dollar bereit gestellt, damit die historische Brücke und ihre nächste Umgebung wieder aufgebaut werden konnte. Das vor fast 11 Jahren von kroatischen Milizen zerstörte Bauwerk wird nun mit viel Pomp und internationalem Trara Ende Juli eingeweiht. 600 Polizisten sollen die internationalen Gäste schützen. Von ihrem Budget von 18,5 Millionen Euro hat die Stadt Mostar 1,4 Millionen Euro für verschiedene Feierlichkeiten bereit gestellt, die rund um die erneuerte Brücke stattfinden. Dazu sagt Ivan Musa: Präsident des Gemeinderates:

„Ich persönlich kann, sagen, dass das zu viel Geld ist, doch Schuld daran ist auch die Internationale Gemeinschaft. Sie und etwa die Weltbank sind alle an diesem Projekt beteiligt, und aus dem Projekt muss ein Ereignis mit Glanz und Glimmer auf höchstem Niveau gemacht werden. Doch auch ich distanziere mich nicht davon, denn das ist auch eine große Werbung für die Stadt.“

Auch der für Mostar zuständige Vertreter der internationalen Bosnien-Verwaltung, der Deutsche Werner Wnendt, rechtfertigt die Feierlichkeiten aus Anlass der Fertigstellung der Brücke:

„Ich glaube, dass man dieses Ereignis zurecht auch als ein sehr wichtiges Ereignis in der Geschichte betrachtet, auch wenn es ja tatsächlich so ist, dass die Brücke praktisch nicht die zwei unterschiedlichen Teile Mostars verbindet. Aber die Brücke hat einfach einen Symbolwert, deren Zerstörung ja für viele einen großen symbolischen Wert hatte. Jetzt ist diese Brücke wieder aufgebaut, und gleichzeitig wird die Stadt wieder zusammen gebracht, die Menschen kommen wieder zusammen.“

In Mostar sehen das viele Bewohner anders. Ihnen wäre eine bescheidenere Feier und mehr Geld für Schulen, Feuerwehr und Straßen lieber gewesen. Außerdem frage man sich, woher denn der Touristenstrom komme soll, wenn große Teile des Stadtzentrums noch einer Ruinenlandschaft gleichen, die Straßenverbindung mühsam und der Flughafen noch nicht einsetzbar ist. Hinzu kommt, dass das die Vereinigung der Stadt gerade erst begonnen hat und mit der Brücke in Mostar somit ein Symbol gefeiert wird, dass der Realität nicht entspricht. Doch das entspricht wiederum der internationalen Gemeinschaft. Sie hat am Balkan und in Mostar viele Jahre nur eine symbolische Politik betrieben, statt mit Geduld und Augenmass eine Strategie umzusetzen, die den Menschen Hoffnung gibt und die Region dauerhaft stabilisiert.

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