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Bosnien-Derventa/Reportage

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Berichte Bosnien
Es ist leichter ein Aquarium in eine Fischsuppe zu verwandeln, als aus einer Fischsuppe ein Aquarium zu machen. Diese Erkenntnis gilt für alle früheren kommunistischen Staaten; sie gilt aber insbesondere für Bosnien, in dem die Wunden von Krieg, Zerstörung und Vertreibung auch fünf Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton noch deutlich sichtbar sind. So warten etwa noch 500.000 sogenannte Binnenvertriebene auf eine Rückkehr in ihre angestammten Häuser und Wohnungen. Zu den vom Krieg in Bosnien am stärksten betroffenen Regionen zählt die Gemeinde Derventa in der Republika Srpska. Denn diese Region an der Grenze zu Kroatien wurde zunächst von den Kroaten und dann von den Serben „befreit“. Mit den Mitteln der EU hat das Hilfswerk Austria in Derventa Häuser und Wohnungen saniert und wiederaufgebaut und so die Rückkehr von 160 Familien in die Region ermöglicht. Unser Jugoslawien-Korrespondent Christian Wehrschütz hat sich in Derventa umgesehen und den folgenden Bericht verfaßt:

Eine serbische Volkstanzgruppe durfte auch bei der Einweihung der Sporthalle in der Stadt Derventa nicht fehlen, mit der das erste große Projekt zur Rückkehr von Flüchtlingen und soge-nannten Binnen-Vertriebenen in dieser Region abgeschossen wurde. Diese Halle kann nun von allen Schulen und Vereinen der Gemeinde genutzt werden, in der knapp 40.000 Personen leben. Zu hören waren bei der Einweihungsfeier aber auch andere Töne:

(O-Ton-Take-Won-Doo und Karate) denn die lokalen Take-Won-Doo und Karate-Klubs zeigten ihr Können und diese beiden Kampf-sportarten sind in Derventa und der gesamten Republika Srpska sehr populär. Kämpferisch gebärden sich die Bewohner der Region nun nur mehr beim Sport; denn fünf Jahre nach Kriegs-ende wächst auch in der von serbischen Nationalisten regierten Stadt die Erkenntnis, daß bei diesem Krieg alle Bewohner Bosniens verloren haben. Über die Folgen des Krieges für Derventa sagt der Bürgermeister der Stadt, Dragolub Kukic:

„Nach Vukovar hatten wir in Derventa sicher die größten Zer-störungen. So standen wir mit Nichts da, ohne Infrastruktur, Schulen und wir können sagen, daß das gesamte Leben praktisch über Nacht zusammenbrach. Bis zum Jahre 1992 war Derventa eine schöne, entwickelte Stadt mit einer Industrie, die viele Menschen beschäftigte.“

Von der einstigen Blüte ist nur wenig zu sehen; denn etwa 70 Prozent der Gebäude in der Gemeinde wurden beschädigt; und zerschossene, ausgebrannte und beschädigte Häuser trifft man überall in Derventa. Die örtliche Schuhfabrik mit 3000 Be-schäftigten produzierte vor allem für den Export; derzeit sind etwa 600 Personen in dem Betrieb beschäftigt. Zur Sozial-struktur der Gemeinde sagt Bürgermeister Dragolub Kukic:

„Derzeit haben wir in der Gemeinde Derventa etwa 5000 Beschäf-tigte, 3600 registrierte Arbeitslose, 3500 Pensionisten und 7000 Flüchtlinge oder Vertriebene. Viele Bewohner haben über-haupt kein Einkommen.“

Die katastrophale Wirtschaftslage wird zwar durch Schatten-wirtschaft und Gastarbeiter gemindert; doch ohne Wasser, Gas, Strom und ohne Arbeitsplatz ist an eine Rückkehr kaum möglich. Das Hilfswerk Austria, das in Bosnien seit 1996 tätig ist, versucht daher mit dem Geld der EU nicht nur Häuser zu bauen, sondern auch die gesamte Infrastruktur zu verbessern und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Geschäftsführerin des Hilfswerks Austria, Heidi Burkhart, sagt dazu:

„Da gibt es konkret einen Projektansatz. Das ist die so genannte Job-creation, wo wir uns vor allem bemühen, zum Beispiel durch das zur Verfügung stellen von Tieren und Landwirtschaftsgeräten, die Landwirtschaft wieder anzukurbeln. Denn damit haben die Menschen hier sofort eine Möglichkeit, wieder selbst tätig zu werden und damit eine Grundlage für ihre Existenz zu schaffen.“

Etwa 10.000 Flüchtlingen und Vertriebenen auch aus Österreich hat das Hilfswerk in Bosnien die Rückkehr ermöglicht. Doch die Beispielswirkung, die diese Unterstützung hat, ist noch weit größer. Heidi Burkhart:

„In der Region Derventa, wo wir in einem bestimmten Ort 19 Häuser wieder aufgebaut haben, sind so zusagen in einer Sogwirkung sehr viele andere Familien nachgekommen, weil sie einfach gesehen haben, dass es möglich ist, hierher zurückzukommen. Das ist natürlich ein Zahl, die ich statistisch nicht nachweisen kann.“

Trotz all dieser Erfolge im Kleinen wird Bosnien nie mehr das werden, was es vor Krieg, Vertreibung und Auswanderung war. So lebten in Derventa vor dem Krieg 42 Prozent Serben, 38 Prozent Kroaten und 16 Prozent Bosniaken: nunmehr besteht die Bevöl-kerung zu 90 Prozent aus Serben. Trotzdem sind Aussöhnung, Flüchtlingsrückkehr und Wirtschaftsaufschwung unabdingbar, soll Bosnien nicht zum dauerhaften Sorgenkind Europas werden.

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