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Interview mit dem Bürgermeister von Banja Luka

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Berichte Bosnien
Banja Luka ist nach Sarajevo die zweitgrößte Stadt Bosniens. Gleichzeitig ist Banja Luka, das mit 250.000 Einwohnern etwa so groß ist wie Graz, auch der Regierungssitz der Republika Srpska, dem zweiten Teilstaat Bosniens. Auch fünf Jahre nach Friedensvertrag von Dayton kämpft diese Stadt nach wie vor mit den Folgen des Krieges. Ein knappes Budget, viele Flüchtlinge und Arbeitslose sowie eine schwierige Wirtschaftslage prägen das Bild Banja Lukas. Mit dem Bürgermeister der Stadt, Dragoljub Davidovic, hat unser Jugoslawien-Korrespondent Christian Wehrschütz in Banja Luka gesprochen und folgenden Bericht gestaltet:

Text:

Mehr als 80 Jahre nach dem Ende der österreichischen Herr-schaft über Bosnien gibt es in Banja Luka noch immer viele Gebäude, deren Stil an diese Zeit erinnern. Diese Spuren haben weder der zweite Weltkrieg noch das schwere Erdbeben vor 30 Jahren beseitigt; und der Bosnien-Krieg hat in der Stadt selbst keine Zerstörungen angerichtet. Auf das historische Erbe und die geographische Nähe zu Österreich verweist auch der Bürgermeister von Banja Luka, Dragoljub Davidovic:

„Banja Luka liegt im Westen Bosniens und stand daher immer unter dem Einfluß Zagrebs. Hinzu kommt, daß Banja Luka nur fünf Auto-Stunden von Wien entfernt ist; so ist es kein Wunder das all das positive Spuren hinterlassen hat.“

Davidovic ist vor allem an einer Zusammenarbeit mit Graz interessiert, das etwa ebenso viele Einwoner hat wie Banja Luka. Darüber hinaus sind die Unterschiede aber beträchtlich: Das gesamte Jahresbudget Banja Lukas beträgt 350 Millionen Schilling, das der Stadt Graz mehr als 7 Milliarden Schilling. Banja Luka muß daher sparen; bis zu 100 der insgesamt 400 Beamten sollen abgebaut werden. Die Verwaltung soll effizi-enter, technisch besser ausgestattet und vor allem Bürger-nahe werden. Dragoljub Davidovic:

„Die Mentalität der Beamten ist noch ein Ergebnis des früheren kommunistischen Systems. Wir wollen junge Leute beschäftigen, um das zu ändern. Doch es ist leichter die technische Ausstat-tung und die Organisation zu ändern als die Denkweise der Be-amten und deren Haltung gegenüber den Anliegen der Bürger.“

Vor dem Krieg war Banja Luka geprägt durch Metall-, Leder- und Lebensmittelverarbeitung. Im Tito-Jugoslawien war die Stadt eines der drei Zentren der Elektronikindustrie. Den wirt-schaftlichen Niedergang begründet Dragoljub Davidovic so:

„Wir haben die Märkte des ehemaligen Jugoslawiens und darüber hinaus verloren. Denn unsere Firmen haben mit vielen Betrieben in Europa und der Welt zusammengearbeitet. Hinzu kommt der Entwicklungsrückstand durch die Ereignisse der vergangenen 10 Jahre. Vor allem die Elektronikindustrie kann diesen Rückstand kaum aufholen.“

Die offizielle Arbeitslosenrate beträgt in Banja Luka mehr als 10 Prozent; hinzu kommen noch insgesamt 60.000 Pensionisten, Studenten und Schüler, die nur über geringes Einkommen verfü-gen. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt offiziell bei 2.000 Schilling. Überlebt wird dank mehrerer Berufe pro Person und dank der Schattenwirtschaft.

Der Bosnien-Krieg hat die Zusammensetzung der Bewohner Banja Lukas massiv verändert. Nur mehr 6 bis 8.000 der 250.000 Ein-wohner sind Kroaten und Bosniaken, alle anderen Bürger sind Serben. Zu den größten Problemen der Stadt zählt Bürgermeister Davidovic die große Zahl an Flüchtlingen:

„Derzeit haben wir in Banja Luka 50.000 Flüchtlinge und Ver-triebene, vor allem aus Kroatien und Bosnien. Sie sind eines der größten Probleme, denn die Vertriebenen haben alles ver-loren.“

Eine Aussöhnung in Bosnien hält Bürgermeister Dragoljub Davi-dovic für schwierig aber für möglich. Dieser Prozeß könnte allerdings ebenso langwierig sein, wie die Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die der Krieg auch in Banja Luka hinterlassen hat.
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