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Die Bilanz des Wolfgang Petritsch

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Berichte Bosnien
Ende Mai endet die Amtszeit des Österreichers Wolfgang Petritsch als Hoher Repräsentant in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegownina. Obwohl sich Petritsch bemüht hat, das vom Krieg zerstörte Land zu stärken und die Reformen voranzutreiben, wird die Präsenz des Westens in Bosnien noch Jahre dauern müssen. Wirtschaftlich konnte noch immer kein einheitlicher Markt zwischen den beiden bosnischen Teilstaaten geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch. Auch die Privatisierung hat erst mit der Bildung der Reformregierung vor eineinhalb Jahren begonnen. Eine Bilanz der Ära Petritsch hat unser Balkan-Korrespondenten Christian Wehrschütz. Er beginnt seinen Beitrag mit einem Ausschnitt aus dem Film „Niemandsland“ des bosnischen Regisseurs Danis Tanovic, der in diesem Jahr einen Oscar erhalten hat:

Text:

„Ko je poceo rat ?“ - „Wer hat den Krieg begonnen ?“ fragt ein Bosniake in einer Stellung im „Niemandsland“ während des Krieges mit vorgehaltener Waffe einen Serben. Dieser muß die Schuld seiner Seite eingestehen; doch als er wenig später die Kalaschnikow in Händen hält, ist der Bosniake an der Reihe, die Kriegsschuld zu zugeben.

Danis Tanovic hat damit in seinem Film „Niemandsland“ in satirischer Weise darauf hingewiesen, daß es in Bosnien und Herzegwonia nach wie vor kein gemeinsames Geschichtsbild gibt. Für die einen sind die früheren Serbenführer Radovan Karadjic und Ratko Mladic Helden, für die anderen Kriegsverbrecher, die leider auch in der Ära von Wolfgang Petritsch nicht gefaßt und an das Haager Tribunal ausgeliefert werden konnten.

In seinem Film karikiert Tanovic aber auch die Internatonale Staatengemein-schaft, wobei er das Eintreffen französischer SFOR-Soldaten im „Niemands-land“ so darstellt:

„Bon Jour !! „

„ Hello!!“

„Parlez Vous Francais?“

„No, no, no !!”

“English?“

„A little!“

Kommunikationsprobleme, widerstreitende Interessen und viel Unwissenheit werden für viele Fehler verantwortlich gemacht, die Internationalen Gemein-schaft in Bosnien schon vor und während des Krieges und auch mit dem Frie-densvertrag von Dayton begangenen hat. Über seine dreijährige Amtszeit als Hoher Repräsentant Bosniens zog Wolfgang Petrisch jüngst in Laibach bei einem Kongreß Bilanz. Zu den Versäumnissen des Westens zählt Petritsch:

„Sicherheit hätte man vor allem einmal in Dayton, und das ist was ich auch immer den Kritikern am jetzigen Zustand sage, entscheiden können und die politischen oder kriegsverantwortlichen Frührer sofort hätte herausnehmen müssen aus dem Spiel, zuminderst für eine mehrjährige Abkühlungsperiode so zu sagen. Von Anfang an multiethnische, moderne, demokratische Kriterien etablieren müssen, hat man nicht getan und aus diesem Grund ist unsere Arbeit dadurch behindert.

Auch die Wirtschaftsreformen habe der Westen vernachlässigt:

„Ich glaube das man sich zu sehr am Anfang darauf konzentriert hat, sich auch darauf konzentrieren musste die unmittelbaren Kriegsschäden zu beheben und zu wenig auf die Wirtschaftreform eingestiegen ist. Man hat zuerst sozusagen Wiederaufbau gemacht und nicht damit verbunden, sogleich auch eine tiefgreifende Wirtschaftsreform. Das ist einer der Hautfehler die wir in Bosnien begannen haben.“

Konkret bedeutet dieses Versäumnis, daß Bosnien sechs Jahre nach Kriegsende und nachdem sechs Milliarden US-Dollar ins Land geflossen sind noch immer über keine Autobahnen verfügt; auch das Eisenbahnnetz wird gerade erst er-neuert. Rechtsunsicherheit und das problematische Justizwesen, Korruption und Bürokratie sowie politische Einflußnahme und der nach wie vor fehlende Bin-nenmarkt zählen noch immer zu jenen Faktoren, die abschreckend auf auslän-dische Investoren wirken. Trotzdem gibt es auch positive, wirtschaftliche Faktoren. Die Bankengesetzgebung ist modern, ausländische Betriebe können nun auch vor bosnischen Gerichten Prozesse gewinnen, die illegale Einfuhr von Waren konnte beträchtlich gesenkt werden und die kleine Privatisierung ist abgeschlossen. Daher beurteilt auch der österreichische Handelsdelegierte in Sarajevo, Michael Scherz, die Perspektive Bosniens grundsätzlich positiv:

Wir sind ein laufender Reformprozess und die Resultate werden immer klarer sichtbar das Ganze bewegt sich in die richtige Richtung, der ganze Reformprozess, wirtschaftlich , gesellschaftlich aber nur halt sehr langsam. Das ist glaube ich das größte Problem von Bosnien- Herzegowina , dass der gesamte Prozess langsam von statten geht.“

Wolfgang Petritsch hat sich in seiner dreijährigen Amtszeit bemüht, seinen Bei-trag zur Weiterentwicklung Bosniens zu leisten. Petritsch gelang es, vor ein-einhalb Jahren eine Reformregierung zustande zu bringen; sie löste die nationa-listischen Parteien ab, die das Land bis dahin beherrscht hatten. Da Petritsch den Friedensvertrag von Dayton und damit den bosnisch-kroatischen und den serbi-schen Teilstaat nicht ändern konnte, versuchte er, den Gesamtstaat zu stärken, an den bis dahin kaum jemand glaubte. Zwar gibt es in Bosnien nach Angaben des UNHCR noch immer 430.000 Binnenvertriebene, doch ist die Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen in der Ära Petritsch wirklich in Gang gekommen. So kehrten seit 1999 nach Angaben des UNHCR allein 211.000 Personen in Ge-biete zurück, in denen eine andere Volksgruppe die Mehrheit bildet. Insgesamt sind seit Kriegsende mehr als 8000 Flüchtlinge zurückgekehrt. Zu seinen blei-benden Erfolgen in Bosnien zählt Wolfgang Petritsch daher:

„Die Flüchtlingsrückkehr wird sicherlich das Bleibende sein, und damit wird ja auch ein wesentlicher Teil des Dayton Vertrages erfüllt. Ich halte aber für ebenso wichtig, die Staatlichkeit, die immer stärker und stärker zu bemerken ist, die durch Institutionen zu erreichen ist, durch den Aufbau einer Regierung, als ich hier her gekommen bin hat es 3 Minister gegeben, jetzt haben wir seit einem Jahr eine halbwegs funktionierende Regierung mit 6 Ministerien, und damit ist eigentlich der Durchbruch erzielt worden. Auch mit anderen Aspekten wie die Gründung eines staatlichen Grenzschutzes, der Stärkung der Staatlichenstruktur insgesamt, dass glaube ich das ist dass wichtigste.“

Die Flüchtlingsrückkehr wird sicher das bleibende sein und damit wird ja auch ein wesentlicher Teil des Daytonvertrages erfüllt. Ich halte aber für ebenso wichtig die Staatlichkeit die wir hier immer stärker bemerken, die eben durch Institutionen zu erreichen ist, durch den Aufbau einer zum Beispiel Regierung. Als ich hierher gekommen bin hat es 3 Minister gegeben. Wir haben jetzt seit einem Jahr eine halbwegs funktionierende Regierung mit 6 Ministerien und damit ist der Durchbruch erzielt worden auch mit anderen Aspekten wie der Gründung eines staatlichen Grenzschutzes.“

Mit der Absetzung des kroatischen Nationalistenführers Ante Jelavic gelang es Wolfgang Petritsch auch, dem kroatischen Separatismus das Genick zu brechen.

Daß es Wolfgang Petritsch im Grunde gelang, die Voraussetzungen für das Überleben eines Staates zu schaffen liegt nicht nur an seiner Politik, sondern auch an den politischen Änderungen, die in seine Amtszeit fielen. In Kroatien starb Franjo Tudjman und die neue Führung erkannte Bosnien ebenso an wie Serbien nach dem Sturz von Slobodan Milosevic. Trotzdem werden weder der Westen noch äußere Faktoren den Zusammenhalt Bosniens dauerhaft gewähr-leisten können. Als entscheidend bezeichnet der österreichische Handelsdele-gierte in Sarajevo, Michael Scherz, vielmehr:

„Der Bestand dieses Staates wird meiner Meinung nach von der Wirtschaft abhängen, wenn es gelingt allen drei Volksgruppen hier eine Heimat zu geben in der sie ordentlich leben können, eine Perspektive hier zu bleiben , Arbeitsplätze geschaffen werden und damit natürlich auch einen Mittelfristigen Eu- Beitritt zu geben, hat man sehr gute Chancen. Ansätze einer regionale Zusammenarbeit sind jetzt da, wir haben die freie Handelsabkommen mit Kroatien, jetzt mit Jugoslawien und Mazedonien in Kürze . Ich glaube wirklich wir sind auf dem richtigen Weg, Es ist noch ein langer Weg aber es geht alles in die richtige Richtung, Ich glaube das ist das entscheidende.“

Ob das so bleiben wird, wird die Parlamentswahl am 5. Oktober zeigen. Nicht nur der Westen hofft, daß die Reformregierung im Amt bestätigt werden wird. Zu den Themen, die den Wahlkampf beherrschen werden sagt der bosnische Außenminister Zlatko Lagumdzija:

„Es ist sehr wichtig, daß im Wahlkampf Themen dominieren werden wie Wirtschaft, europäische Integration, Bildung soziale Reformen. Es werden auch Themen dominieren wie die Stärkung der Institutionen, Herrschaft des Rechts, Kampf gegen Korruption, Kriminalität und Terrorismus. Es ist gut, daß zum ersten Mal seit dem Krieg, im Brennpunkt des öffentlichen Interesses wirtschaftliche Fragen stehen werden.“

Von besonderer Bedeutung ist die Wahl jedenfalls, weil zum ersten Mal in Bosnien ein Parlament für eine vierjährige Amtszeit gewählt wird.

Der Film „Niemandsland“ von Danis Tanovic endet damit, daß der Bosniake und der Serbe vor laufender Kamera erschossen werden. Ein weiterer Bosniake bleibt im Niemandsland in der Stellung liegend zurück; er kann nicht aufstehen, denn er liegt auf einer scharfen Schützenmine. Die SFOR läßt den Mann hilflos zurück, ein Einzelschicksal, über das in der bevorstehenden Pressekonferenz nicht berichtet werden wird. Auch Bosnien hat sich noch nicht wieder erhoben. Sollte es nach der Wahl am fünften Oktober zunehmend auf eigenen Füßen stehen, so kann auch Wolfgang Petritsch für sich in Anspruch nehmen, seinen Beitrag dazu geleistet zu haben.
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