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Bosnien hat gewählt

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Sieben Jahre nach Kriegsende in Bosnien und Herzegowina haben der Westen und die Internationale Staatengemeinschaft bei ihren Bemühungen um eine Stabilisierung des Landes einen klaren Rückschlag erlitten. Denn aus den Wahlen aller Staatsorgane vergangenen Samstag gingen die nationalistischen Parteien aller drei Volksgruppen als Sieger hervor. Mitverantwortlich für dieses Ergebnis ist auch die Wahlbeteiligung von 54 Prozent. Sie war die niedrigste seit Kriegsende. Besonders bedeutsam ist das Wahlergebnis auch deshalb, weil die Institutionen in Bosnien zum ersten Mal für vier und nicht wie bisher nur für zwei Jahre gewählt worden sind. Wie ist nun die Lage in Bosnien und was sind die Perspektiven des Landes ? Dazu hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz folgenden Bericht gestaltet:

Mit einem Straßenfest in Sarajevo eröffnete wenige Tage vor der Wahl die Bank Austria ihre erste Filiale in Bosnien und Herzegowina. Die Stimmung war gut und am Abend desselben Tages hatte die Bank zu einem Konzert in das Opernhaus von Sarajevo geladen. Zu den Fest-rednern zählt auch der Hohe Repräsentant von Bosnien, der Brite Paddy Ashdown. Ashdown wertete die Eröffnung der Bankfiliale als Zeichen des Vertrauens in die Zukunft Bosniens. Anschließend spielte das Orchester Beethovens 5. Symphonie, auch Schicksalssymphonie genannt. Doch das Schicksal Bosniens ist seit der Wahl am fünften Oktober wieder mit deutlich mehr Fragezeichen versehen. Die Sozialdemokraten als führende Kraft in der Reformkoalition erlitten eine deutliche Niederlage. Klarer Gewinner aller Wahlen sind die nationalistischen Parteien der Kroaten, Bosniaken und Serben. Sie wurden in allen Parla-menten stärkste Kraft und ihre Vertreter zogen auch in das drei Personen umfassende Staatspräsidium ein. Paddy Ashdown und die EU werteten die Wahl nicht als Rückfall in den Nationalismus, sondern als Zeichen des Protests, als Schrei nach Hilfe und als Wunsch nach schnelleren Reformen. Noch wenige Tage vor der Wahl hatte Ashdown in einem Brief an die 1,4 Millionen Haushalte, die Wahl als Wahl zwischen Reform und Scheitern bezeichnet. Doch auch der österreichische Botschafter in Sarajevo, Gerhard Jandl, will das Wahlergebnis differenziert betrachtet wissen:

„Was natülich hier zu sehen ist, ist dass das Wahlergebnis ein gemischtes Bild zeigt, es zeigt zum einen Gewinne der Nationalistischen Partei und der traditionellen Parteien, auf der anderen Seite darf man jedoch nicht übersehen, dass in den Parlamenten einige dieser alten Nationalistischen Parteien auch Stimmen verloren haben, die STS, die von Karadjic gegründete Partei, hat zum Beispiel 10 Prozentpunkte verloren bei den Parlamentswahlen und wir glauben in der Europäischen Union auch, dass es wichtig ist sich die einzelnen Parteien und handelnden Personen genau anzusehen und nicht notwendigerweise davon auszugehen, dass die Parteien ganz genau die gleichen sind und dass sie die gleichen politischen Optionen vertreten wie sie das noch vor 5 oder 6 Jahren gemacht haben.“

Richtig ist, daß auch die Nationalisten nun für die EU-Integration und für die engere wirt-schaftliche Zusammenarbeit der beiden Teilstaaten sind. Richtig ist auch, daß die SDS, die serbische Partei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadjic, schwächer ge-worden ist. Trotzdem ist sie nicht nur nach wie vor stärkste Kraft im Parlament der serbi-schen Teilrepublik; die SDS hat auch die Wahl des Präsidenten der Republika Srpska ge-wonnen und sitzt nun mit Mirko Sarovic auch im Staatspräsidium. Seine Aussagen im Wahl-kampf lassen jedenfalls Zweifel aufkommen, ob sich die Nationalisten tatsächlich gewandelt haben. Denn eine Stärkung des Gesamtstaates lehnt Sarovic nach wie vor ab:

„Wir werden nicht erlauben, daß irgend jemand die verfassungsmäßige Stellung der Repu-blika Srpska bedroht; dagegen sind die SDS und ihre Kandidaten. Im übrigen ist der Kampf gegen den Zentralstaat unser wichtigstes und höchstes Ziel. Ein Zentralstaat Bosnien und Herzegowina ist der größte Feind der Republika Srpska und ihres Volkes.“

Dieses Beharren auf den eigenen Institutionen schlägt sich auch darin nieder, daß zwar die beiden Teilstaaten über je ein Verteidigungsministerium und über Streitkräfte verfügen, nicht jedoch der Gesamtstaat. Wie dringend notwendig ein stärkerer aber schlankerer Staat Bosnien und Herzegowina ist, zeigt allein ein Blick auf die Staatsorgane, die die 2,3 Millionen Stimm-bürger zu wählen hatten. Gewählt wurden: das Staatspräsidium, das Parlament des Gesamt-staates, das Parlament des bosniakisch-kroatischen Teilstaates, dessen 10 Kantonalparla-mente, das Parlament in der serbischen Teilrepublik sowie deren Präsident. Etwa 60 Parteien standen zur Wahl. Dieser Apparat – vom Westen mit dem Friedensvertrag von Dayton ge-schaffen – ist für ein Land, das halb so groß ist wie Österreich einfach zu teuer und zu büro-kratisch. Das bestätigt auch der Stellvertreter von Paddy Ashdown, der Amerikaner Donald Hays:

„Die Weltbank wird in Kürze eine Studie veröffentlichen die zeigt, daß 60 Prozent des Brutto-inlandsprodukts für das Regieren aufgewendet werden., daß nicht genügend Mittel bereit ge-stellt werden, um die Qualität der erforderlichen Leistungen zu erbringen für Erziehung, Gesundheitswesen, Pensionen und Löhne. Es ist unmöglich zu glauben, daß ein ehrlicher Politiker oder Polizist von dem Geld leben kann, daß er bekommt.“

Denn auch wirtschaftlich ist die Lage des Landes alles andere als rosig. Die offizielle Arbeits-losenrate liegt bei etwa 40 Prozent, wird jedoch durch die Schattenwirtschaft gemindert. In der Industrieproduktion hat das Land das Vorkriegsniveau noch nicht erreicht, wobei die Ent-wicklung in den beiden Teilrepubliken ebenso auseinander klafft wie bei der Inflationsrate. Einen gemeinsamen Markt gibt es noch immer nicht und trotz langsam einsetzender wirt-schaftlicher Erholung hängt die Wirtschaftsentwicklung noch immer mehr oder weniger von internationaler Hilfe ab. Zwar ist bei Flüchtlingsrückkehr und beim Wiederaufbau viel ge-schehen, trotzdem sind Straßen- und Eisenbahnverbindungen schlecht. Positiv entwickelt sich die Zusammenarbeit mit Kroatien und Serbien, seit einigen Monaten gibt es sogar wieder drei Mal die Woche einen Flug Belgrad-Sarajevo. Blickt man jedoch auf das Geld, das vor allem der Westen bisher für Bosnien ausgegeben hat, so ist das Bild ernüchternd. Dazu sagt der Stellvertreter des internationalen Hohen Repräsentanten, der Amerikaner Donald Hays:

„Klar ist, daß die regelmäßig genannten Zahlen von sechs bis sieben Milliarden Dollar nicht ein Mal annähernd den Kosten entsprechen, die die Internationale Gemeinschaft in Bosnien gehabt hat. Es gibt keinen Weg die gesamte Unterstützung zu kalkulieren, die die Länder in diesen sechs Jahren geleistet hat. Ich würde sagen, es waren etwa 40 Milliarden Dollar.“

Schuld an diesem Mißverhältnis zwischen Mitteleinsatz und Ergebnis ist auch der Westen. Er hat mit dem Friedensvertrag von Dayton dieses äußerst komplizierte Staatswesen geschaffen, in dem bisher alle zwei Jahre gewählt wurde. Das erschwerte nicht nur die Reformen, sondern führte auch zu Wahlmüdigkeit und Frustration, die den nationalistischen Parteien zugute kam, denn vor allem viele junge Menschen sehen keine Perspektive. Zwar wurde das Land heuer in den Europarat aufgenommen und wichtige Schritte hin zum Abkommen über Stabilisierung und Assoziation mit der EU wurden gesetzt. Ob Bosnien mit all diesen Organen jedoch euro-pareif werden kann ist mehr als zweifelhaft. Die klarste Schlußfolgerung aus dieser Erkennt-nis zieht der Koordinator des EU-Stabilitätspaktes, der Österreicher Erhard Busek:

„Ich muss ganz nüchtern sagen dass es einfach notwendig ist, die bisherige Grundlage und zwar das Dayton Agreement aufzuschnüren, denn das verführt zu ethnischen Parteien, das teilt eigentlich das Land. Der nächste Schritt muss zweifellos der sein die Teile zusammen zu führen, dass es überhaupt einmal eine Regierung gibt, ein Rat der Minister ist keine Regierung, wir haben nicht nur 2 Verteidigungsminister sondern auch 3 Elektrizitätsversorgungsunternehmen, bitte wo ist der Unterschied zwischen einem kroatischen, serbischen und bosniakischen Strom, der ist bitte nicht erkennbar, es muss nur effizient sein, das geht nur gemeinsam.“

Doch ob vor allem der Westen Kraft und Willen zur Reform des Dayton-Vertrages aufbringt ist zweifelhaft. Der Hohe Repräsentant Paddy Ashdown verlangt jedenfalls von der künftigen Regierung eine umfassende Reform des Staats- und Rechtssystems binnen Jahresfrist. Wer diese Regierung bilden wird und kann, wird erst Ende Oktober klar sein, wenn auch die Stim-men der Auslands-Bosnier eingerechnet und die Wahlergebnisse in Mandate für das Gesamt-staatsparlament umgerechnet sein werden. Die neue Regierung und der Westen müssen vor allem verhindern, daß Bosnien bei seinen Bemühungen um eine europäische Integration hinter Serbien und Kroatien zurückfällt, wie der österreichische Botschafter Gerhard Jandl betont:

„Wenn in Bosnien- Herzegowina jetzt gesehen wird das Kroatien auf der einen Seite und Jugoslawien auf der anderen Seite schneller zur Europäischen Union kommen, dann würde in Bosnien- Herzegowina natürlich ein Gefühl der Frustration entstehen, politische Frustration die sich dann auch in einer zentrifugalen Bewegung Richtung Belgrad oder Agram auswirken würde, das heißt das hier alle miteinander gefordert sind, die Bosnier selber, die Staatengemeinschaft und die EU, alles zu tun damit genau das nicht passiert das heißt zu einer Stärkung des Staates werden rasche Fortschritte dringend notwendig.“

Bosnien und dem Westen stehen vier schicksalhafte, schwierige und entscheidende Jahre bevor.
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