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Vetting Prozess bei der Justiz in Albanien

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Berichte Albanien

20210426 MiJ Der Vetting Prozess bei der Justiz in Albanien Wehrsch Mod

In Albanien ist gestern das Parlament gewählt worden; doch die Auszählung der Stimmen in den Zählzentren verläuft schleppend, daher ist noch unklar, ob der sozialistische Regierungschef Edi Rama eine dritte Amtszeit bekommt, oder von der Opposition abgelöst wird. Schleppend verläuft in Albanien auch die Justizreform; ihr Herzstück ist der sogenannte Vetting-Prozess, die Durchleuchtung der Richter und Staatsanwälte durch eine Kommission. Diese administrativen Verfahren dauern bereits mehr als drei Jahr, doch ein Ende ist nicht in Sicht. Überwacht werden die Verfahren von internationalen Beobachtern. Dafür war etwa der Verfassungsgerichtshof mehr als zwei Jahre handlungsunfähig, weil nur ein Richter die Überprüfung überstand. In Albanien zählten Richter und Staatsanwälte zu den wohlhabendsten Schichten der Bevölkerung. Aus Tirana berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Der sogenannte Vetting-Prozess, also das Durchleuchten der insgesamt 800 Richter und Staatsanwälte führte zu einem Kahlschlag in der Justiz. 370 Juristen wurden bisher überprüft, nur 40 Prozent bestanden. Zentrales Element des Scheiterns waren Lebenswandel, Eigentum und Vermögen, vom Auto bis hin zu Wohnungen in Albanien und im Ausland. Das Problem in Albanien besteht dabei darin, dass der Kataster nicht geordnet ist, viele Eigentumsübertragungen lange zurückliegen oder nur schlecht dokumentiert sind. Durchgefallen bei der Kommission ist die Staatsanwältin Besa Nikehasani, und zwar vor allem wegen zweier Wohnungen in Albanien und ihrem Auto. Schuld ist sich Besa Nikehasani keiner bewusst:

Besa Nikehasani 0'43 - Wohnung in Tirana - 2'18 (39)

„Ich habe alle Dokumente vorgelegt, die den Kauf der Wohnung in Tirana belegen; dazu zählten der Kreditvertrag sowie der Vertrag über den Verkauf eines Stück Landes, das meinem Mann seit 1991 gehört. Dieses Stück Land haben wir in zwei Raten, in den Jahren 2008 und 2010 verkauft; dafür bekamen wir zwischen 9.000 und 10.000 Euro. Doch die Kommission berücksichtigte diese Dokumente nicht, weil als Verkäuferin meine Schwiegermutter aufscheint.“

Die Rolle der Schwiegermutter ist unklar. Besa Nikehasani klagte vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg; zu ihren Vermögensverhältnissen sagt sie:

 

Besa Nikehasani 21'04'6 - 60.000 Euro - 21'40 ( 41)

„Als ich entlassen wurde, betrug mein Lohn etwas weniger als 1.000 Euro, wobei wir keine Sparguthaben besitzen. Die Berufungskommission bewertete das gesetzlich zulässige Vermögen auf etwa 60.000 Euro. Wie kann man sagen, dass das ein gerechtfertigter Beschluss ist, wenn ich 25 Jahre und mein Mann 30 Jahre berufstätig sind? Angegeben haben wir als Vermögen etwa den doppelten Betrag.“

Von der Durchleuchtungs-Kommission war zu diesem Fall niemand zu einer Stellungnahme bereit und der internationale Beobachter nicht mehr in Albanien. Als gerechtfertigt wertet die Entlassung das auf Korruption spezialisierte journalistische Balkan-Netzwerk BIRN; es darf an den Sitzungen der Kommission teilnehmen und hat sehr früh die Korruption in der Justiz aufgezeigt. Den sogenannten Vetting-Prozess bewertet in Tirana BIRN-Chefredakteur Besar Likmeta so:

Besar Likmeta BIRN, Chefredakteur in Albanien

10'44'5 - Bewertung Vetting - 12'17 (32)

„In 80 Prozent der Entscheidungen gibt es kaum eine Debatte, weil die Erkenntnisse der Kommission klar waren, was die Eigentumsverhältnisse betraf. Doch natürlich gibt es Fälle, über die man mehr debattieren kann, weil die Kommission Standards verwendete, die sie früher nicht angewandt hat, mildere oder härtere. Doch der Prozess und auch seine Mängel sind sehr transparent."

Internationale Beobachter der Verfahren waren nur zu Hintergrundgesprächen bereit. Einer sagte, es gebe drei Arten von Fällen oder Schafen: Schwarze, Weiße und Graue, wobei die Schattierung von Hellgrau bis Dunkelgrau reicht, Zu welcher Gruppe Besa Nikehasani zählt, bleibt offen. Sicher ist, dass Mitglieder der Durchleuchtungs-Kommissionen politischem Druck ausgesetzt sind; auch Bestechung ist nicht ausgeschlossen. So wurde jüngst die Staatsanwältin des Gerichtsbezirks Tirana bestätigt, obwohl der anwesende internationale Beobachter klar dagegen war. Negativ zu bewerten ist, dass gegen die gefeuerten schwarzen Schafe kaum Strafverfahren eingeleitet und die Polizei gar nicht durchleuchtet wird.

Der Vetting-Prozess wird wohl noch Jahre dauern; wichtig ist daher eine umfassende Justizreform, damit der Zugang zum Recht für Albaner rascher erreichbar ist.

Erinda Ballanca, (Volksanwältin)

35'53'7 - Zitat zu Vetting - 37'17'5 (34)

“Die Kommissionen haben weder genug Mitglieder noch genug Mittel, um den Prozess binnen insgesamt fünf Jahren abschließen zu können. Bis Ende 2020 ist nur ein Drittel der Richter durchleuchtet wurden, das zeigt, wie langsam der Prozess ist, und das bringt zwei Probleme mit sich: erstens hat sich die Qualität der Richter nicht verbessert , und zweitens dauert der Zugang zum Recht der Bürger nun viel länger. Ich rechne damit, dass die Durchleuchtung weitere fünf Jahre dauern wird.“

 

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