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Bei Kräutersammlern in Albanien

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Berichte Albanien
Ringelblumentee, Holunderblütentee, Salbeitee und andere Tees aus anderen Heilkräutern und Heilpflanzen sind auch in Österreich beliebt. Kaum bewusst dürften sich die Konsumenten aber sein, wie oft all diese Pflanzen in anstrengender Handarbeit gepflückt und geerntet werden müssen. Viele dieser Pflanzen, die auch in Österreich auf den Markt kommen, stammen aus Albanien, auf das zum Beispiel mehr als 50 Prozent der Weltproduktion von Salbei entfällt. Doch Albanien ist auch bei anderen Heilkräutern ein wichtiger Exporteur nach ganz Europa. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat albanische Kräutersammler besucht und mit ihnen über ihre Arbeit und ihr Leben gesprochen:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Albanien

Insert1: Dashinor Lame, Kräutersammler aus der Stadt Lushnja

Insert2: Mersin Sinani, Bewohner des Dorfes Sternec

Insert3: Mersin Sinani, Bewohner des Dorfes Sternec

Insert4: Endrit Kulaj, Leiter der Firma „Sonnentor“ in Albanien

Gesamtlänge: 3’00

Ein Steilhang im Dorf Sternec etwa 200 Kilometer südlich von Tirana ist bis zum Frühherbst der Arbeitsplatz dieser Kräutersammler. Gearbeitet wird im Durchschnitt acht Stunden pro Tag; in dieser Zeit kann eine Person etwa 200 Kilo frischen Salbei pflücken, das macht etwa 80 Kilo getrockneten Salbei; pro getrocknetem Kilo werden etwa 80 Eurocent bezahlt:

„1000 Euro in der Saison sind nicht zu viel, doch ich arbeite in der Stadt Lushnja in einer Firma, die Aluminiumtüren und -fenster herstellt, damit ernähre ich meine Familie.“

Dashinor Lame stammt aus Sternec; seine Eltern zogen aber bereits vor Jahrzehnten nach Lushnja; doch er kommt jede Saison bis zu fünfmal hierher. Die Familie von Mersin Sinani zählt zu den wenigen Bewohnern, die noch in Sternec leben. Mersin pflückt an diesem Steilhang Winterbohnenkraut. Das Gelände zeigt, dass diese Arbeit nicht nur anstrengend, sondern auch nicht ungefährlich ist.

„Das ist die wirtschaftliche Grundlage der Familie, weil die Gegend sehr reich an Heilkräutern ist; die zweite Einnahmequelle sind Viehzucht und Molkereiprodukte.“

Dazu zählen Schafe, Kühe und Ziegen, die mit ihren Hirten oft auch in schwierigem Gelände unterwegs sind. Auch wegen des vielfältigen Futters wird das Fleisch weit über die Grenzen des Dorfes hinaus geschätzt; trotz dieser Vorzüge ist die Landflucht ein Problem:

„Wir wollen, dass es unseren Kindern durch Ausbildung besser geht; doch die Kinder wissen, wie man sammelt und was das für eine schwere Arbeit ist. In den Ferien helfen sie uns, beim Kräutersammeln.“

In Sternec und den zwei Nachbardörfern leben insgesamt noch etwa 30 Familien mit nur sehr wenigen Kindern; den Bevölkerungsschwund zeigt die Grundschule, in der gerade noch drei Kinder unterrichtet werden; die Infrastruktur ist schlecht, Arzt, Apotheke und selbst kleine Geschäfte fehlen. Diese Entwicklung berücksichtigt auch die Firma aus Österreich:

„Wegen der Abwanderungen erhöht Sonnentor den Anbau von Kräutern und Heilpflanzen auf den Feldern; doch noch immer können einige Pflanzen wie Hagebutte, Holunderblüten oder Brombeerblätter nur gesammelt werden; wir versuchen jedenfalls Balance zwischen Sammeln und Produktion zu halten.“

Zu den Problemen von Sternec zählt die Erreichbarkeit des Dorfes; zum Anmarsch zu den Sammelplätzen und zum Abtransport der Kräuter werden zunächst Mulis eingesetzt; nach dem Trocknen werden die Kräuter dann vor allem mit Autos in die Stadt Corovode gebracht; sie ist nur 30 Kilometer vom Dorf entfernt, doch wegen der schlechten Straßen, dauert die Fahrt etwa zwei Stunden. Eine Perspektive der Region liegt im Tourismus; in der Schlucht ist Rafting im Frühsommer sehr beliebt, wenn der Wasserstand hoch genug ist. Besser wird die Infrastruktur der Region auch durch den Bau der Trans-Adriatic-Pipeline, die Erdgas aus Aserbaidschan über Albanien nach Westeuropa transportieren wird. Das Projekt führte auch zu Ausbau von Straßen im Umfeld der Pipeline. Ob und wann davon auch die Kräutersammler von Sternec profitieren werden ist fraglich. Sicher ist, dass ländlicher Tourismus hier erst eine Chance hat, wenn es eine halbwegs normale Straße geben wird. Anderseits profitieren vom Istzustand die Kräuter, denn eine Verunreinigung durch Einflüsse von außen ist weitgehend ausgeschlossen.
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