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Interview mit Ministerpräsident Sali Berisha

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Berichte Albanien
Der 12. Oktober ist für Albanien ein weiterer Lostag auf dem Weg Richtung EU. Denn an diesem Tag wird in Brüssel die EU-Kommission ihren Fortschrittsbericht vorlegen. Bereits vor drei Jahren hat Albanien einen Beitrittsantrag gestellt, doch die EU hat bisher noch nicht einmal den Status eines Beitrittskandidaten gewährt. Ob es im Oktober dazu kommt, wird von der Bewertung der politischen Lage, der Reformen, vom Kampf gegen Kriminalität und von der Bewertung der Entwicklung hin zu einem Rechtsstaat abhängen. In Tirana hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Ministerpräsident Sali Berisha über die Entwicklung Albaniens gesprochen, hier sein Bericht:

Wer Albanien gerecht werden will, muss sich stets die enorme Erblast vor Augen halten, die die jahrzehntelange kommunistische Diktatur und der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung im Jahre 1997 dem Balkan-Land aufgebürdet haben. Somit war Albanien ein enorm rückständiges Land, in dem derzeit etwa ein modernes Meldewesen mit flächendeckenden Straßennamen und Hausnummern aufgebaut werden muss. Die Modernisierung ist daher das zentrale Programm der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Sali Berisha, der seit 2005 im Amt ist. Dabei kann er durchaus große Erfolge vorweisen; Sali Berisha:

"Albanien als ein entwickeltes Land, das ist sicher der größte Traum eines jeden Albaners. Was haben wir erreicht? Vor sechs Jahren waren in diesem Land von 18.000 Kilometer Straßen nur 2.430 asphaltiert. Jetzt haben wir als 10.000 Kilometer asphaltiert und tausende andere Kilometer werden ausgebaut. Vor sechs Jahren hatten wir eine der niedrigsten Internetdurchdringungen in der Welt, 4,8 Prozent; jetzt sind es mehr als 60 Prozent."

Seit 2008 NATO-Mitglied wurde Albanien von den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise weit weniger getroffen als andere Länder des Balkan. Nach Jahren des Wachstums werden Wirtschaftsleistung und Auslandsinvestitionen aus der EU doch deutlich schwächer. Geld ist knapp, die Zahlungsmoral des Staates schlecht, und das spüren auch österreichische Investoren, wenn es etwa um die Rückerstattung der Mehrwertsteuer geht. Hinzu kommt die Korruption im Justizwesen, die etwa Banken bei der Eintreibung von Exekutionstiteln spüren. Dazu sagt Berisha:

"Was die Banken und die Mehrheitsteuer betrifft, so ist der Prozess der Rückerstattung langsam. Doch wir arbeiten an der Verbesserung des Geschäftsklimas. Und wir werden die Mehrwertsteuer für alle Maschinen abschaffen, die importiert werden, um Fabriken zu eröffnen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Was die Banken betrifft, so hatten sie Probleme mit der Justiz; doch der Oberste Justizrat befasst sich mit einer ernsthaften Reform unseres Justizwesens."

Bei der Justizreform hat das Parlament in Tirana diese Woche einen wichtigen Schritt gesetzt, und die praktisch absolute Immunität von Abgeordneten und Richtern eingeschränkt. Nunmehr werden Ermittlungen gegen Richter bei Korruptionsvorwürfen wohl besser möglich sein. Ob diese Maßnahme reicht, um die EU-Kommission zur Empfehlung des Status eines EU-Beitrittskandidaten zu veranlassen, ist offen. Sali Berisha gibt sich jedenfalls eher ungewohnt zurückhaltend:

"Ich kann nicht vorhersehen, wie die Entscheidung ausfallen wird. Doch ich kann versichern, dass für uns die EU-Integration das wichtigste Projekt ist. Wir sind ein geduldiges Volk, das hart für seine Ziele arbeitet und das Land bewegt sich."

Österreich ist für den Kandidatenstatus, auch um weitere Anreize für faire und freie Wahlen und für eine weitere politische Mäßigung zu schaffen. Die Konfrontation zwischen konservativer Regierung und sozialdemokratischer Opposition forderte im Jänner 2011 vier Menschenleben, doch die Lokalwahlen im Mai 2011 verliefen recht friedlich. Geeinigt haben sich Regierung und Opposition auf eine Reform des Wahlrechts für die Parlamentswahl im Sommer nächsten Jahres. Obwohl der 68-jährige Arzt Sali Berisha in seiner politischen Karriere bereits alle Höhen und Tiefen durchlebt hat, will er neuerlich antreten:

"Ich werde so lange weitermachen, solange mich die Albaner wählen. Wenn mir die Albaner sagen werden, Sali, es ist genug, dann werde ich nur meine tiefe Dankbarkeit ausdrücken, denn sie haben für mich in diesen Jahren derart massiv gestimmt. So kann niemand den Bürgern dankbarer sein als ich."

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