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Thomas Bernhard zum ersten Mal in Tirana

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Wer hätte gedacht, dass Thomas Bernhard anlässlich seines 20. Todestages noch eine Premiere erleben könnte? Möglich gemacht hat diese Premiere das Nationaltheater in Tirana. Denn Ende Juni ist dort Thomas Bernhard nicht nur zum ersten Mal in Albanien, sondern auch zum ersten Mal in albanischer Sprache aufgeführt worden. Gezeigt wurde der Dreiakter „Die Macht der Gewohnheit“, ein Stück, das durch die Gestalt des Zirkusdirektors Garibaldi vor einer Diktatur warnt und Machtmissbrauch darstellt. Regie geführt hat der junge Österreicher Christian Papke, der am Balkan seit mehr als fünf Jahren auch Dramen-Wettbewerbe leitet. Etwa 30 Mal soll das Stück bis nächsten Sommer in Tirana gezeigt werden. In Albanien endete die Isolation erst vor knapp 25 Jahren durch den Tod des kommunistischen Diktators Enver Hoxha; „Die Macht der Gewohnheit“ ist somit ein Stück, das in Albanien durchaus zeitgeschichtliche Assoziationen weckt.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Insert1: Christian Papke, Regisseur

Insert2: Vasin Lami, „Garibaldi“

Insert3: Neriton Licaj, Jongleur

Insert4: Jonila Godole, Übersetzerin

Gesamtlänge: 5’39

Kamera Ilir Bucpapaj

Ton: Klaudio Sheldija

Schnitt Mica Vasiljevic

Forca e Zakonit – lautet die albanische Übersetzung von Thomas Bernhards Stück „Die Macht der Gewohnheit“. Ankündigungen für die Premiere fanden sich nur vor dem Nationaltheater. Das Stadtbild von Tirana prägten andere Plakate. Der Macht der schlechten albanischen Gewohnheit folgenden kämpften Politiker vor der Parlamentswahl mit fast allen Mitteln um Stimmen. Die Bernhard-Premiere war trotz geringer Werbung und Wirtschaftskrise ausverkauft, Eintrittskarten kosteten unisono 2,50 Euro. Das Stück ist die Geschichte des diktatorischen Zirkusdirektors Garibaldi; er ist davon besessen, Schuberts Forellenquintett perfekt aufzuführen. Bereits 22 Jahre zwingt er seine Mitarbeiter zur Probe, die immer wieder sabotiert wird:

„Die letzte Probe ist ein Skandal gewesen. Das möchte ich nicht mehr erleben. Einen betrunkenen Dompteur, dem es Mühe macht, auf den Beinen, einen Spaßmacher, dem fortwährend die Haube vom Kopf fällt, eine Enkelin, die mir durch ihre Existenz allein auf die Nerven geht. Die Wahrheit ist ein Debakel.“

Kein Debakel waren zwar die Proben; doch Regisseur Christian Papke wurde stoische Ruhe abverlangt nicht zuletzt wegen der Bühnentechnik. Die Decke der Dekoration muss von einem Bühnenarbeiter angehoben werden.

Weit besorgniserregender ist jedoch der Zustand der Unterbühne und des Theaters insgesamt:

Willig und einsatzbereit sind dafür die Mitarbeiter:

„Sie sind absolut bereit, kreativ und individuell Lösungen zu finden, und sich des anderen anzunehmen mit seiner Frage mit seinem Problem; auch hier die Relativierung: wir haben Montag von neun Uhr in der Früh bis zwei Uhr in der Nacht gearbeitet. Das Resultat des Tages war, dass das Bühnenbild zusammen gebrochen ist, um am Ende des Tages eigentlich nicht viel mehr geschehen ist als am Anfang. Aber man ist willig, ist bemüht, man versucht.“

Nicht immer erfolgreich waren die Versuche des Hauptdarstellers, Papkes Regieanweisungen umzusetzen. Kein Problem hatten aber Schauspieler und Publikum, die Grundaussage des Stücks zu verstehen:

„Die Botschaft ist ein Appell gegen die Diktatur. Wenn wir uns konkrete Diktatoren vorstellen, wie Mussolini, Stalin oder Enver Hoxha, dann haben wir eine genaue Vorstellung davon, wie sie waren. Unsere Hauptfigur Garibaldi trägt in sich die Eigenschaften aller Diktatoren. Ein Mal ist er gewalttätig, aggressiv, poetisch, einfühlsam; das sind die Motive, die Bernhard aus allen Diktatoren herausgenommen und in Garibaldis Charakter hineingelegt hat.“

Enver Hoxha ist seit fast 25 Jahren tot; doch das Ende der kommunistischen Herrschaft ist noch keine 20 Jahre her. Die meisten Schauspieler haben diese Zeit bewusst erlebt; im Albanien des Jahres 2009 ist sie nicht völlig zur Geschichte geworden ist; die Macht der Gewohnheit wirkt noch fort:

„Wir sind im Übergang; der Müll der Diktatur ist noch immer da. Die Albaner leben jeden Moment mit dieser Vergangenheit oder dieser Post-Diktatur. Wir sind keine wirkliche Demokratie, wir sind irgendwo dazwischen.“

Auch der albanischen Gegenwart entspricht in gewisser Hinsicht das Gefühl irgendwo festzusitzen. Visafreies Reisen in die EU binnen Jahresfrist versprach die bei der Wahl siegreiche konservative Koalition. Doch das Reformtempo ist zu langsam, um das Versprechen halten zu können. Trotzdem macht die Aufnahme in die NATO im Frühjahr Mut. Daher wurde auch plakatiert: „Sot NATO – Neser BE – Heute NATO – Morgen EU“. Diese Parole erinnert an Thomas Bernhards „Macht der Gewohnheit. Dort lautet die fragwürdige Verheißung „Morgen in Augsburg“

"Neser ne Augsburg"

Zwischen beiden Parolen sieht Bernhards albanische Übersetzerin durchaus Parallelen

„Neser EU – das wäre interessant; das ist das, was wir sagen, und eigentlich klingt es mehr wie „Never“ – Niemals EU.“

So trostlos ist die Realität nicht – und Buchhandlungen zeigen auch die geistige Öffnung, die Albanien durchlebt hat. Davon profitiert die deutsche Literatur, die in zunehmendem Masse übersetzt wird. Friedlich verlief auch die Parlamentswahl, während auf der Bühne nach 22 Jahren erfolgloser Proben die Lage eskaliert:

Der Applaus zeigte, dass in Albanien auch Thomas Bernhard Zukunft hat.

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