Mehr als einem Monat nach ihrem Beginn ist die Offensive der ukrainischen Truppen offensichtlich massiv ins Stocken geraten. Wichtige Grenzübergänge zu Russland sind weiter in der Hand prorussischer Rebellen, und auch von einer völligen Einschli Mehr als einem Monat nach ihrem Beginn ist die Offensive der ukrainischen Truppen offensichtlich massiv ins Stocken geraten. Wichtige Grenzübergänge zu Russland sind weiter in der Hand prorussischer Rebellen, und auch von einer völligen Einschließung der Städte Lugansk und Donezk kann keine Rede sein. Auch eine wichtige Verbindungsstraße zwischen den beiden Städten konnten ukrainische Truppen bisher nicht unterbrechen. An dieser Straße liegt die Stadt Antrazit im Kreis Lugansk. Antrazit liegt knapp 100 Kilometer östlich von Donezk und 60 Kilometer nördlich der russischen Grenze. Mit dem militärischen Rebellen-Kommandanten der Stadt hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz über die Kriegslage und ein mögliches Ende der Kämpfe gesprochen. Hier sein Bericht:
15 Kilometer südlich der Stadt Antrazit zeugen verbrannte Wiesen und Wälder vom massiven Einsatz von Artillerie und Raketenwerfern. Ihr Ziel war ein ukrainischer Militärkonvoi, der die Verbindung zwischen den Städten Donezk und Lugansk abschneiden sollte. Auf einer Wiese stehen noch zwei ausgebrannte Mannschaftstransporter, ein ausgebrannter Jeep und ein Sanitätsfahrzeug. Verkohlte Leichen liegen noch in den und um die Fahrzeuge. Koordiniert wurde der Angriff aus Antrazit, benannt nach der Kohle, die dort bis zum Krieg abgebaut wurde. Militärischer Kommandant der Stadt ist der 40-jährige Wjatscheslaw Pinizhanin, Oberst der Garde der Donskoj Kosaken, die im Kreis Lugansk ihre Heimat haben. Seiner Ansicht nach, leiden die ukrainischen Truppen nicht nur unter geringer Kampfmoral; Wjatscheslaw Pinizhanin:
„Wir haben Gefangene gemacht und verhört; viele von ihnen traten zu uns über; andere wurden einfach wieder Zivilisten. Sold bleibt oft aus; es fehlt an grundlegenden Mitteln für die Hygiene, an normaler Verpflegung. Daher desertieren viele Soldaten, gehen nach Russland; das sind nicht Duzende, sondern Hunderte. Es fehlt an Treibstoff, an Verbindung zwischen Truppen; sie haben weder Lugansk noch Donezk eingenommen; auch der Belagerungsring um Lugansk ist nicht geschlossen; Nahrung und Treibstoff gelangen weiter in die Stadt, obwohl sie von einer Einkreisung sprechen.“
Wortkarg ist der Oberst, wenn man ihn nach der Herkunft seiner Waffen und den eigenen Opfern fragt. Zur Mannstärke seiner Truppen sagt Pinizhanin immerhin:
„Ich sage so; nicht so viele, wie wir gerne hätten. Wir haben diese Stadt zu Beginn mit 120 Mann gegen mehr als 2.500 Ukrainer gehalten, die noch dazu besser bewaffnet waren als wir.“
Wie so viele Städte der Ostukraine ist auch Antrazit, das 57.000 Einwohner zählte, vom Krieg gezeichnet. Das betrifft weniger die Zerstörungen, sondern viel mehr den Zusammenbruch des öffentlichen Lebens. Dazu sagt der Stadtkommandant:
„Weniger als die Hälfte der Bevölkerung ist geblieben; gelitten haben vor allem städtische Dienstleistungen; dazu zählen die Versorgung mit Wasser- und Lebensmitteln; es gibt keinen Treibstoff in der Stadt, und auch keine Zigaretten, was für jeden Mann sehr wichtig ist. Natürlich versuchen wir, Lebensmittel einzuführen, auch Hilfe kommt. Die Infrastruktur ist zerstört, der Bürgermeister geflohen.“
Aufhorchen lässt der Kosaken-Oberst mit seiner Vorstellung für ein Ende des Krieges, denn einen Verbleib im ukrainischen Staat kann er sich durchaus vorstellen. Dazu sagt Pinizhanin:
„Wir wollen nicht aus der Ukraine austreten. Wir gehen im Grunde davon aus, Bürger der Ukraine zu bleiben, vom Pass bis hin zu Währung. Doch wir wollen uns im Rahmen unserer Autonomie mit unserer Wirtschaft befassen. Wir wollen über unsere eigenen Ressourcen verfügen und nicht alles an Kiew abgeben, das uns dann nur Brotkrumen zurückgibt. Wir wollen Kiew nur das geben, was es braucht; das ist es.“